Freitag, 6. Januar 2023

Wohnungen und Wohnorte

Eine Geschichte, die ich gerne erzähle: Als ich in unsere jetzige Wohnung im Vauban einzog, zählte ich, in wie vielen Wohnungen ich zu Hause war und wie oft ich bisher umgezogen war. Ich kam auf 20 Wohnungen, in denen ich zuhause war; also bin ich bis dahin durchschnittlich alle 2,5 Jahre umgezogen. Mein Fazit: Aus dieser Wohnung ziehe ich mit den Füßen zuerst wieder aus. Man wird sehen…

Mit dem Wohnort und der Wohnung sind Begriffe wie Heimat und zuhause verbunden. Der ein oder andere kann das sicherlich immer klar für sich beantworten, aber für mich ist das eher ambivalent. Zuhause ist noch einfach, für den ideologisch belasteten Begriff Heimat, eher schwierig.

Doch fangen wir chronologisch an.

Wiesthal (1955-1956)

Zu Google Maps: Wiesthal

Geboren wurde ich im von „Bayern besetzten Teil Frankens“ in Aschaffenburg. Meine Eltern waren mit meinen drei älteren Geschwister 1953 nach Wiesthal im Spessart gezogen und so wurde ich der erste und erstmal Bayer der Familie. Naturgemäß habe ich  an Wiesthal  keine Erinnerung. Wir lebt in einer Holzbaracke am Werksgelände des Sägewerks, das mein Vater dort gegründet hatte.








Sägewerk Wiesthal (privat)


Mein Bruder B. erinnert sich an die große Holzterasse auf der im Sommer gespielt und gelebt wurde. Er und meine Schwester B. wurden in Wiesthal noch eingeschult. Jahrzehnte später erinnerten wir bei einem gemeinsamen Besuch Wiesthals mit einem Foto vor der Schule.








Grundschule Wiesthal (privat) 

Lohr am Main (1956-1964)

Zu Google Maps: Lohr am Main, Tannenackerweg

1956 zogen wir nach Lohr am Main in ein „großes“ Haus. In der Erinnerung war das Haus sehr groß. Bei späteren Besuchen wirkte es dann viel kleiner. Wahrscheinlich der Effekt einer optischen Täuschung, die mit der eigenen Größe zu hat.










Haus am Tannenackerweg (privat)

Was sind meine Erinnerungen?

  • Ein großer Hof zum Spielen 
  • Der Dackel Ast
  • In der Küche singen mit meiner Tante Erna
  • Ein Garten mit Erdbeeren, Stachelbeeren, Mirabellen
  • Die Straße noch nicht asphaltiert, gegenüber Wiesen, auf denen wir Sauerampfer gegessen haben (Heute ist die Straße beidseitig bebaut.)
  • Spielende „Banden“, die durch den Wald zogen
  • Einschulung erst ohne und dann doch mit einer Schultüte












Erster Schultag auf der Terrasse in Lohr (privat)


Eine behütete Kindheit ist mit diesem Ort verknüpft.

 

Marl-Sinsen, Gräwenkolkstr. 64 (1964 – 1965)

 

Zu Google Maps: Marl-Sinsen, Gräwenkolkstraße

Unser Vater starb 1964 und meine Mutter zog mit uns, inzwischen fünf Geschwistern, nach Marl-Sinsen in ihr Elternhaus zurück nach Westfalen bzw. ins Ruhrgebiet. Marl ist von beidem geprägt, einerseits bäuerlich, westfälisch und andererseits urban. Der Schmelztiegel Ruhrgebiet hat seine eigene Charakteristik.  

Wir wohnten in einem Haus mit den Großeltern zusammen. Da der Platz beengt war, baute meine Mutter bald auf dem Nachbargrundstück ein Haus für unsere große Familie.


Marl-Sinsen, Gräwenkolkstr. 60 (1965 – 1975) (bzw. 2019)


Mein Elternhaus! Auch lange über die eigentliche Zeit hinaus, in der ich dort wohnte, war es immer wieder Anlaufpunkt, Fluchtpunkt, Treffpunkt. Erst als meine Mutter nicht mehr dort wohnen konnte und dann in Berlin lebte, verlor das Haus diesen Status.

 

In Marl, bzw. auch Recklinghausen durch meinen Schulbesuch auf dem Petrinum, unterbrochen von zwei Internatsaufenthalten, habe ich meine Jugend verbracht, eine wichtige Zeit der Sozialisation. Meinen fränkischen Akzent hatte ich in großer Eile abgelegt („Kommst Du aus Bayern?“) Marl wurde meine zweite Heimat.







Elternhaus in Marl-Sinsen (privat)

 

Maria Veen (1966 – 1968)


Zu Google Maps: Maria Veen, Internat der Marianhiller Missionare

Wie schon gesagt, unterbrachen zwei Internatsaufenthalte meine Zeit in Marl-Sinsen. Mein Schuljahre 5-7  (damals Sexta bis Quarta), war ich auf dem Internat der Marianhiller Missionare in Maria Veen.

Der ersten Eindrücke:

  • Ein Obdachloser, der in der Nähe der Pforte saß, sagte als man mich hinbrachte: „Kiek mal, da wird wieder einer katholisch gemacht.“
  • Am ersten Abend, im Speisesaal war schön eingedeckt mit einem Nachtisch. Der Nachtisch war ein trockener Kokoskeks. Noch heute kann ich den krümeligen Geschmack nachempfinden.
  • Der Schlafsaal mit 10 anderen Kindern, die langen Gänge, deren Fenster in guter Trappistentradition nur den Blick nach oben ermöglichten.
  • Die Patres und Fratres

Nach 2,5 Jahren (Kurzschuljahre) kam man gemeinsam zu der Erkenntnis, dass ich nicht für so ein Haus gemacht bin (Wie wahr!). Und ich wechselte auf das Gymnasium Petrinum in Recklinghausen und wohnte wieder zu Hause.

 

Coesfeld 1972 – 1973

Zu Google Maps: Coesfeld, Bischöfliches Internat St. Pius

Noch eine westfälische Station. Im Internat allerding nur ein Jahr, danach bin ich als Externer weiter in Coesfeld zur Schule gegangen. Internatsleben ist nichts für mich, das hat sich da nochmals bestätigt. Neben dem religiösen Leben war auch das Gemeinschaftsleben in großen Gruppen eher eine Belastung. Obwohl manche meinten, ich hätte Ähnlichkeit mit Jesus:












Im zweiten Internat (privat)


Mit meinen Mitschülern vom Pius verbinden mich noch heute regelmäßige Treffen. Ich hoffe für 2025  auf ein größeres Treffen zum 50-jährigen Abitur.

 

Marl-Lenkerbeck, Bahnhofstraße (1975)

Zu Google Maps: Marl-Lenkerbeck, Bahnhofstr. 69

Noch vor dem Abitur dann die erste eigene Wohnung mit meinem Freund K. Zwei Zimmer, keine Küche, ein kleines Bad ein Stockwerk höher, Öl-Ofen mit einem Ölfass im Keller. Und die ersten Erfahrungen mit dem Mietrecht.

Als Neumieter, so dachten wir, können wir uns alles so gestalten, wie wir das möchten. Das Bad strichen wir tiefblau, die neu und die Fensterrahmen grün, innen und außen. Von außen konnte man dann unsere Wohnung gut erkennen, was uns gefiel. Am nächsten Tag kam die Vermieterin und schimpfte mit uns: Das einheitliche Aussehen des Mietshauses hatte einen farbigen Fleck bekommen. Wir mussten das dann wieder korrigieren.

Das Gefühl alles beim Einzug neu streichen zu müssen, ist tief in mir verankert. Die im deutschen Mietrecht verankerte Schönheitsreparatur beim Auszug fand ich emotional immer widersinnig.

 

Marl-Sinsen, Bahnhofstraße (1976 - 1977)

Zu Google Maps: Marl-Sinsen, Bahnhofstr. 140

Nicht weit entfernt, sogar wieder etwas näher am Elternhaus, die erste gemeinsame Wohnung mit einer Freundin. In der Zeit machte ich meine Ausbildung zum Chemielaborant bei den CWH. Auch diese Wohnung war sehr speziell. Alle Räume, vom Eingang, über ein Wohnzimmer, über die Küche mit offener Dusche bis nach hinten durch zum Schlafzimmer waren Durchgangszimmer. Der Eingang ist heute zugemauert, wahrscheinlich wurde da kräftig umgebaut.

Die Beziehung ging in die Brüche, meine Lehre habe ich abgebrochen und ich zog weiter.

 

Recklinghausen Süd (1977)

Zu Google Maps: Recklinghausen Süd

Nur kurze Zeit zwischen Ausbildung und Beginn des Studiums kam ich bei einer Bekannten in Recklinghausen unter. Da ich in Recklinghausen jobbte, war das sehr praktisch. Aber wir wohnten nicht richtig zusammen, sahen uns nur selten. Aber ich hatte ein Bett und ein Dach über dem Kopf.

 

Münster Gremmendorf (1977 – 1978)

Zu Google Maps Münster Gremmendorf

Im westfälischen Zentrum. Münster: Mittlere Großstadt, Studierendenstadt, Verwaltungsoberzentrum, Fahrradstadt, Bischofsstadt. Die Stadt hat eine ähnliche Struktur wie Freiburg, wo ich heute lebe. Ein sehr lebenswerter Ort.

Im Josef-Suwelak-Weg hatte ich die erste Erfahrung mit einer Art WG. Der Vermieter hatte den Dachboden seines Einfamilienhauses ausgebaut und vermietete drei Zimmer an Student:innen. Der Unterschied zu einer richtigen WG: Er suchte die Mieter:innen aus. Deshalb war ich dann bald mit A. und K. auf der Suche nach einer richtigen WG-Wohnung.

Beim Auszug lernte ich eine wichtige Funktion der Mietkaution kennen: Oft bekommt man sie nicht wieder, da noch irgendwelche Schönheitsreparaturen nötig seien. Nun denn, den Streit darum habe ich nicht geführt.


Münster Gasselstiege (1978 – 1979) 

Zu Google Maps: Münster Gasselstiege

Der Vorteil an einer teuren Miete ist, dass man sich plötzlich vorstellen kann, auch in (noch) teureren Wohnungen zu leben. Geeignete Wohnungen zu finden war damals auch schon schwer. Unsere Dreier-WG fand einen Neubau mit Tiefgarage im Terrassenstil. Der Schnitt der Wohnung war zwar nicht WG-tauglich, aber wir fanden eine Lösung. Ich wohnte im größten Zimmer, das aber gleichzeitig Durchgangs-, Wohn- und Esszimmer war. Im Plan als ‚Wohnzimmer‘ ausgewiesen. K. hatte das ‚Eltern-Schlafzimmer‘ und A. das ‚Kinder-Zimmer‘. Dieses Kinderzimmer hatte (ungelogen) 6(!), in Worten sechs, Quadratmeter. Was sich der Architekt dabei gedacht hatte? Für A. passte sein Bett und ein kleiner Schreibtisch in das Zimmer.

Noch eine Anekdote aus dieser Zeit: Der Hausmeister verdächtigte uns Mitglieder der RAF zu sein. Die Indizien: Unsere Post mit linken Zeitungen, die Tiefgarage und die Nähe zur nächsten Autobahn. Mein Fiat 126 stand tatsächlich immer als Fluchtfahrzeug bereit…


Berlin Tempelhof (1979 – 1980) 

Zu Google Maps: Tempelhof, Werderstraße

Meine erste Station in West-Berlin. Es war nicht der gewünschte Bezirk, aber auch in Berlin war der Wohnungsmarkt schon schwer. Die Wohnungssuche startete immer freitags  22 Uhr am Verlagsgebäude der Morgenpost, um die Samstagsausgabe mit den Vermietungsanzeigen schon den Abend vorher zu kaufen.

Ich landete in einer zweier WG mit I. aus F. Die Wohnung war bezahlbar, ich habe mein Zimmer natürlich  erstmal gestrichen (Ich glaube ein dunkles Beige). Da I. schon vorher da wohnte und einen Mitbewohner suchte, war es mehr seine Wohnung und sein Mietvertrag. I. war, was die Ordnung betraf, sehr pedantisch (seine Mutter war früher so unordentlich, deshalb war Ordnung für ihn sehr wichtig), der Badezimmerzugang mit einer Ampel geregelt.

Es war ok zusammen zu wohnen, aber ich war trotzdem bald wieder auf der Suche.

 

Berlin Kreuzberg, Gneisenaustraße (1980 - 1982)

Zu Google Maps: Kreuzberg, Gneisenaustraße

Kreuzberg 61 war damals ein Zentrum der Hausbesetzer Szene. Einmal kam ich aus der nichtsahnend aus der Wohnung in eine Demo und musste mich in Habakuks Gartenlaube vor einer auf mich zu rennenden Polizeieinheit retten. Der Wirt schloss die Kneipe ab, aber die Polizei brach die Tür auf. Sie suchten jemanden in einer roten Hose, ich hatte trotz meiner roten Hose Glück, dass sie mich nicht mitgenommen haben.

Die Wohnung war eine WG. Ich hatte die ‚Kutscherstube‘ gemietet, die an eine befreundete WG grenzte. Es gab noch einen übertapezierten Durchgang zur WG, den wir wieder öffneten. Die Wohnung war früher wohl hochherrschaftlich: im Hochparterre, mit einer (Haus)-Mädchenkammer über dem Badezimmer, Klingelanlage in der Küche, um die Hausbediensteten zu rufen, einem eigenen Eingang für die Dienerschaft, ‚Berliner Zimmer‘ mit einem verdeckten Wand Safe, Stuck an Decke. Unter der Kutscherstube konnten die Pferde in den Innenhof geführt werden. Alles in allem: So richtig Alt-Berlin in modernen Zeiten.

Die Miete der Kutscherstube war 50 DM, das war wirklich günstig. Da ich mich mit der WG zerstritten habe, wachte ich eines morgens auf, und der Durchgang zur WG war mit einem Schrank zugestellt. Ich war umgezogen, ohne die Wohnung gewechselt zu haben. Die Toilette war dann eine halbe Treppe höher, ein Außenklo. Auch Alt-Berlin in modernen Zeiten.



 





In der Hasenheide; ca. 1982 (privat)


Berlin Kreuzberg, Baerwaldstraße (1982 - 1983) 

Zu Google Maps: Kreuzberg, Baerwaldstraße

Ich zog in ein frisch renoviertes großes Zimmer in eine 4er WG. (Ich sollte dem Vormieter dann beim Renovieren seiner neuen Wohnung helfen). Davon waren zwei Sannyasins. Da ich zwischen meinen Indienreisen 1980 und 1982 war, hatten wir gemeinsame Themen, obwohl ich Osho nicht für mich interessant fand. Die Lage war toll, in der Nähe des Landwehrkanals und Kreuzberg 61 war immer mein Lieblingsstadtteil.

Da ich Mitte 1982 bis Anfang 1983 wieder auf Indien-/ Asienreise war, hatte ich mein Zimmer an einen ‚Freund‘ untervermietet. Ich kam dann im Januar 1983 wieder ‚nach Hause‘, die Temperatur war – 6° C, ich hatte keine festen Schuhe und nur Sommerkleidung. Ich kam zurück und man eröffnete mir, dass ich ausziehen müsste, da die WG mit meinem Freund besser funktionierte. Meine Klamotten könne ich mir selbst suchen, die hätten sie irgendwo hin geräumt. Mein Freund hatte auch nicht gemerkt, dass die Miete nicht auf mein Konto überwiesen worden ist, so dass wegen der gescheiterten Mietabbuchungen von meinem Konto mein Sparkassenkonto gesperrt wurde und ich wurde der Schufa gemeldet.

Nach diesem Kultur-, Klima-, Finanz- und Wohnungsschock flüchtete ich erstmal wieder in mein Elternhaus. Da wurde ich geistig, moralisch und körperlich wieder aufgepäppelt.

 

Berlin Neukölln, Herrfurthstraße (1983 – 1986)

Zu Google Maps: Neukölln, Herrfurthstraße

Die Ein-Zimmer-Wohnung in der Herrfurthstraße bekam ich durch einen glücklichen Zufall. Es gab eine Anzeige, dass eine Frau eine/n Nachmieter:in sucht und zur Besichtigung waren 10 Personen da, die die Wohnung gerne hätten. Die Vormieterin wusste jetzt nicht, wie sie jemanden auswählen sollte und einer begann zu erzählen, warum er unbedingt diese Wohnung braucht. Ich unterbrach und sagte, dass wahrscheinlich jeder von uns gute Gründe habe und dass es doch dann einfacher sei zu losen. Alle waren damit einverstanden. Ich machte 10 kleine Zettel fertig und auf einem war ein (Gewinn-)Kreuz. Alle zogen einen Zettel und übrig blieb der Zettel mit Kreuz und ich bekam die Wohnung. Ich bin sicher, dass die anderen an einen Taschenspieler Trick von mir glaubten, aber ich war wirklich, wirklich ehrlich.

Neukölln und speziell die Lage am Herrfurthplatz ist nicht mehr mit heute vergleichbar. Damals wurde der Flughafen Tempelhof noch von den USA genutzt und das soziale Leben des Stadtteils waren die Kindle Eckkneipen an jeder Ecke der Blocks. Es gab eine Kiezkneipe: Alkoven (später Syndikat). Heute gibt es viele Cafés und Geschäfte und der Flughafen ist Naherholungsgebiet. Die Veränderungen des Stadtteils kann man hier hautnah spüren.

Die Wohnung hatte einen klassischen Kachelofen. Aus dem Keller musste man immer die Briketts nach oben in den 3. Stock schleppen und im Winter überlegte man schon genau, wann man ihn anheizte und wann nicht. Bei einem Kachelofen dauert es nämlich 5 bis 6 Stunden, bis das Zimmer dann wirklich warm wird. Und natürlich kannte ich auch alle Tricks, wie der Kachelofen über Nacht nicht ausgeht. Die Kachelöfen waren für den typischen Winterduft von Berlin verantwortlich.

Ich bin dann auch noch mal im Haus einen Stock höher umgezogen. Diese Wohnung hatte eine eingebaute Dusche und einen Kohleofen. Einmal besuchte mich meine Mutter mit ihrem Mann, die bei mir übernachteten. Davon gibt es das geflügelte Familienwort, wie er sich von meiner Mutter abends verabschiedete: „ Gute Nacht Mutti, morgen früh sind wir beide tot.“ Er befürchtete eine Kohlenmonoxid Vergiftung, da der Ofen nicht vertrauenswürdig aussah.

 

Berlin Schöneberg, Potsdamer Straße (1987 – 1992) 

Zu Google Maps: Schöneberg, Potsdamerstr.

Ja, wo fang ich an? Die Potsdamer Str.128 ist für mich eine besondere Wohnung mit großer Bedeutung. Deshalb am besten erstmal, wie uns diese Wohnung „zuflog“:

Meine damalige Freundin war schwanger und die Einzimmerwohnung in der Herrfurthstraße war auf Dauer nicht für uns alle geeignet und der Wohnungsmarkt war wie immer angespannt. Viele Bemühungen waren bisher umsonst, aber wir hatten noch ca. 4 Monate Zeit bis zur Geburt. Eines Sonntags saßen wir in der Herrfurthstraße gemeinsam auf dem Bett und das Telefon klingelte. Ich sagte aus Spaß, und wer mich besser kennt weiß, dass ich solche Späße gerne mache: „Jetzt fliegt uns eine Wohnung zu.“ Am Telefon war dann tatsächlich ein Paar aus der Potsdamerstraße 128, das Nachmieter:innen suchte. Meine Freundin wollte es erst nicht glauben, aber ich hatte 2 Wochen vorher eine Such-Anzeige im TIP Berlin, allerdings ohne wirkliche Hoffnung, aufgegeben.

Es war dann nicht ganz einfach. Für die Wohnung brauchte man einen Wohnberechtigungsschein für drei Personen und da unsere Tochter noch nicht geboren war und mangels Geburt auch noch nicht mit mir verwandt, forderte das Wohnungsamt eine Vaterschaftserklärung des Jugendamtes. Der entsprechende Standesbeamte beim Jugendamt klärt uns darüber auf, dass man eine Vaterschaft vor der Geburt nicht rechtskräftig anerkennen kann. Er sprang dann über seinen Schatten und gab uns eine, nicht rechtskräftige, Bescheinigung.

Die Wohnung war von der neuen Heimat, die gerade für 1 DM an einen Bäckermeister verkauft worden war. Wir konnten es dann nicht lassen und haben bei der Bewerbung für die Wohnung auch 1 DM für die Wohnung geboten. Der Sachbearbeiter hatte zum Glück Humor und wir bekamen die Wohnung.

Wer genau aufgepasst hat, hat eine kleine Unstimmigkeit bemerkt. Die Herrfurthstraße habe ich bis 1986 bewohnt, die Potsdamerstraße dann 1987. Ja es gab da keine Überschneidung der Jahre, da wir Sylvester umgezogen sind. Erst wurden wir von Freunden dafür kritisiert so einen Termin zu wählen, aber ich hatte bei keinem Umzog eine solche Unterstützung. Alle hatten Zeit und es hat toll geklappt. Deshalb mein Tipp: Wenn Ihr mal umziehen müsst, Sylvester ist ein toller Tag und Ihr könnt Euch das Umzugsunternehmen sparen.

Also zogen wir in die Potsdamerstr. 128, Ecke Kurfürstenstraße. Eine lebendige Ecke mit zwei Gesichtern, einem Tagesgesicht mit quirligem Stadtleben und einem Nachtgesicht mit dem Treffen einer Junkie Szene und einem Straßenstrich. Und einer historischen Komponente, die in dem Buch von 1983 ‚Potsdamerstraße‘ (Benny Härlin / Michael Sontheimer) aufgearbeitet wurde. „Unser“ Haus wurde erst danach gebaut, aber in dem Buch wurde die Geschichte dieses Grundstücks vom märkischen Acker bis zum besetzten Hinterhaus der 80iger Jahre aufgearbeitet. Schön, wenn man so viel darüber erfährt.









Potsdamer Straße (Amazon)

 Schräg gegenüber ist immer noch eine Gedenkstelle für den jungen Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay, „der im Zusammenhang mit einem von Innensenator Heinrich Lummer geplanten und durchgeführten Polizeieinsatz zur gleichzeitigen Räumung von acht besetzten Häusern in Berlin ums Leben kam.“ (Wikipedia)












Gedenkstelle: Klaus-Jürgen Rattay (privat)

 Diese Wohnung ist auch der Geburtsort meiner ältesten Tochter L. Deshalb fahre ich heute, wenn ich mal in Berlin bin, noch gerne an dem Haus vorbei und schaue, wie sich die diese Ecke entwickelt. L. , die wieder in Berlin wohnt, hat in ihrer Familie ein geflügeltes Wort, wenn sie unterwegs in Berlin sind: „Hier habe ich mal gewohnt.“ „Hier habe ich mal gearbeitet.“ „Hier wurde ich geboren.“ Ein Ritual, das ich gut nachvollziehen kann.

Die Wohnung haben wir dann weitergegeben an eine Cousine 2. Grades von mir, die auch ihre Tochter C. in dieser Wohnung durch eine Hausgeburt bekam. Die beiden dort geborenen Kinder haben die gleichen Ururgroßeltern aus dem Westfälischen. Ob sie von dieser doppelten Gemeinsamkeit wissen?









Potsdamer Straße 128 heute (privat)

Die Potsdamerstraße war meine letzte Station in Berlin. Die Stadt hatte sich inzwischen von West-Berlin in Berlin weiterentwickelt und ich war plötzlich in einer anderen Stadt, ohne die Wohnung gewechselt zu haben. Wir entschieden uns von dem sozialen Brennpunkt Berlin in die „heile Welt“ im badischen Freiburg zu ziehen.

   

Merzhausen (1992 – 1999)

 Zu Google Maps: Merzhausen

Aus Berlin ins beschauliche Merzhausen. Das Leben im Badischen ist schon etwas langsamer als in Berlin. Ob das an der Nähe zur Schweiz liegt? Die Umstellung auf die andere Geschwindigkeit, z.B. Beispiel im Supermarkt, wo trotz langer Schlange an der Kasse gern mal ein Schwätzchen gehalten wird, und auch auf den badischen Dialekt, hat schon ein bisschen gedauert, gell?

 

Freiburg St. Georgen, Bergiselstraße (1999 – 2000)

Zu Google Maps: St. Georgen, Bergiselstraße

Diese Wohnung ist bei mir vor allem mit drei Ereignissen verknüpft:

  • Die totale Sonnenfinsternis, die vom Balkon aus betrachtet, eine absolute Stille im Dämmerlicht brachte. Kein Verkehr war zu hören und auch die Vögel waren still.
  • Der Wintersturm ‚Lothar‘, der Bäume entwurzelte und mich ‚heldenhaft‘ mit den Mülltonnen kämpfen ließ.
  • Der Jahrtausendwechsel. Als Jugendlicher war das Jahr 2000 unendlich weit weg, heute ist es schon noch nicht so lange vorbei. Die Zeit hat anscheinend doch unterschiedliche Geschwindigkeiten.

 

Freiburg Haslach, Uferstraße (2000 – 2005)

Zu Google Maps: Haslach, Uferstraße

Das Haus in der Uferstraße war eine frühere Polizeistation, die zu Wohnungen umgebaut wurde und die Wohnung war eine Maisonettewohnung unter dem Dach mit vielen Schrägen. Dort lernte ich auch, in einem kleineren Rechtsstreit mit dem Vermieter,  die Bedeutung der Schrägen und der Balkone für die Wohnraumbemessung kennen. Dafür ist es auch wichtig, ob man vom Balkon zu einer Parklandschaft oder auf einem Parkplatz blickt.

Jahre später zog meine Tochter Z., die ihre ersten 4 Jahre in dieser Wohnung lebte, zufällig wieder in die gleiche Wohnung in eine WG.

 

Freiburg Vauban, Astrid-Lindgren-Straße (2005 – heute)

Zu Google Maps: Vauban, Astrid-Lindgren-Straße

Das Haus bzw. die Wohnung im Vauban haben wir zusammen mit einer Baugruppe mit insgesamt 12 Parteien gebaut. Auch eine neue Erfahrung mit vielen Gruppensitzungen, Finanzierungsfragen und Grundsatzentscheidungen. Ich lernte Bauverträge und Teilungsverträge, Förderungsmöglichkeiten wie Baukindergeld, WEG (Wohnungseigentümergemeinschaft) und Hausverwaltung kennen. Und wie fast immer gibt es zwei Seiten der Medaille: Die unangenehmste Seite war ein 15(!) Jahre langer Rechtsstreit über Baumängel. Die beste Seite: So ein Bauvorhaben ist eine langfristige Entscheidung, bei der man anfangs das Risiko nicht abschätzen kann und für mich war es, jetzt im Rückblick und im Hinblick auf den Immobilienmarkt, eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

Der Stadtteil Vauban ist ein Modellstadtteil, entstanden auf dem Gelände einer ehemaligen, zuletzt von Frankreich genutzten Kaserne. Verkehrsarm, kinderfreundlich, ökologisch, urban, mit Infrastruktur wie Läden, Straßenbahn, Kindergärten und Schule. Bei der Planung des Stadtteils wurden künftige Bewohner:innen nicht nur einbezogen, sondern sie waren selbst initiativ und aktiv beteiligt.










Blick übers Vauban (privat)

Das Leben im Vauban hat, insbesondere mit Kindern, eine so hohe Lebensqualität, dass ich mal in den Raum warf: ‚Das ist wie Kommunismus!‘. Mein Schwiegervater erwiderte: ‚Ah, Kommunismus ist da, wo es Dir gefällt!‘.

Wie Ihr seht, wohne und lebe ich hier sehr gerne und habe tatsächlich keine Ambitionen nochmals umzuziehen. Ob ich tatsächlich ‚mit den Füßen zuerst…‘ aus dieser Wohnung herausgehen werde, wird die Zukunft zeigen.




Du möchtest über neue Blog-Beiträge informiert werden? Dann schicke mir eine kurze E-Mail mit dem Betreff; 'Milanex Blog abonnieren' an mailto:kontakt@milanex.de .

 



Recht und Gerechtigkeit

  Recht und Gerechtigkeit   Als Kind und auch später noch, war mein Gerechtigkeitsgefühl, zumindest das subjektiv, stark ausgeprägt. Wen...