Eine Geschichte, die ich gerne erzähle: Als ich in unsere jetzige Wohnung im Vauban einzog, zählte ich, in wie vielen Wohnungen ich zu Hause war und wie oft ich bisher umgezogen war. Ich kam auf 20 Wohnungen, in denen ich zuhause war; also bin ich bis dahin durchschnittlich alle 2,5 Jahre umgezogen. Mein Fazit: Aus dieser Wohnung ziehe ich mit den Füßen zuerst wieder aus. Man wird sehen…
Mit dem Wohnort und der Wohnung sind Begriffe wie Heimat und
zuhause verbunden. Der ein oder andere kann das sicherlich immer klar für sich
beantworten, aber für mich ist das eher ambivalent. Zuhause ist noch einfach,
für den ideologisch belasteten Begriff Heimat, eher schwierig.
Doch fangen wir chronologisch an.
Wiesthal (1955-1956)
Zu Google Maps: Wiesthal
Geboren wurde ich im von „Bayern besetzten Teil Frankens“ in Aschaffenburg. Meine Eltern waren mit meinen drei älteren Geschwister 1953 nach Wiesthal im Spessart gezogen und so wurde ich der erste und erstmal Bayer der Familie. Naturgemäß habe ich an Wiesthal keine Erinnerung. Wir lebt in einer Holzbaracke am Werksgelände des Sägewerks, das mein Vater dort gegründet hatte.
Sägewerk Wiesthal (privat)
Mein Bruder B. erinnert sich an die große Holzterasse auf der im Sommer gespielt und gelebt wurde. Er und meine Schwester B. wurden in Wiesthal noch eingeschult. Jahrzehnte später erinnerten wir bei einem gemeinsamen Besuch Wiesthals mit einem Foto vor der Schule.
Grundschule Wiesthal (privat)
Lohr am Main (1956-1964)
Zu Google Maps: Lohr am Main, Tannenackerweg
1956 zogen wir nach Lohr am Main in ein „großes“ Haus. In
der Erinnerung war das Haus sehr groß. Bei späteren Besuchen wirkte es dann
viel kleiner. Wahrscheinlich der Effekt einer optischen Täuschung, die mit der
eigenen Größe zu hat.
Haus am Tannenackerweg (privat)
Was sind meine Erinnerungen?
- Ein großer Hof zum Spielen
- Der Dackel Ast
- In der Küche singen mit meiner Tante Erna
- Ein Garten mit Erdbeeren, Stachelbeeren, Mirabellen
- Die Straße noch nicht asphaltiert, gegenüber Wiesen, auf denen wir Sauerampfer gegessen haben (Heute ist die Straße beidseitig bebaut.)
- Spielende „Banden“, die durch den Wald zogen
- Einschulung erst ohne und dann doch mit einer Schultüte
Erster Schultag auf der Terrasse in Lohr (privat)
Eine behütete Kindheit ist mit diesem Ort verknüpft.
Marl-Sinsen, Gräwenkolkstr. 64 (1964 – 1965)
Zu Google Maps: Marl-Sinsen,
Gräwenkolkstraße
Unser Vater starb 1964 und meine Mutter zog mit uns,
inzwischen fünf Geschwistern, nach Marl-Sinsen in ihr Elternhaus zurück nach
Westfalen bzw. ins Ruhrgebiet. Marl ist von beidem geprägt, einerseits
bäuerlich, westfälisch und andererseits urban. Der Schmelztiegel Ruhrgebiet hat
seine eigene Charakteristik.
Wir wohnten in einem Haus mit den Großeltern zusammen. Da der Platz beengt war, baute meine Mutter bald auf dem Nachbargrundstück ein Haus für unsere große Familie.
Marl-Sinsen, Gräwenkolkstr. 60 (1965 – 1975) (bzw. 2019)
Mein Elternhaus! Auch lange über die eigentliche Zeit hinaus, in der ich dort wohnte, war es immer wieder Anlaufpunkt, Fluchtpunkt, Treffpunkt. Erst als meine Mutter nicht mehr dort wohnen konnte und dann in Berlin lebte, verlor das Haus diesen Status.
In Marl, bzw. auch Recklinghausen durch meinen Schulbesuch
auf dem Petrinum, unterbrochen von zwei Internatsaufenthalten, habe ich meine
Jugend verbracht, eine wichtige Zeit der Sozialisation. Meinen fränkischen
Akzent hatte ich in großer Eile abgelegt („Kommst Du aus Bayern?“) Marl wurde
meine zweite Heimat.
Elternhaus in Marl-Sinsen (privat)
Maria Veen (1966 – 1968)
Zu Google Maps: Maria Veen,
Internat der Marianhiller Missionare
Wie schon gesagt, unterbrachen zwei Internatsaufenthalte
meine Zeit in Marl-Sinsen. Mein Schuljahre 5-7
(damals Sexta bis Quarta), war ich auf dem Internat der Marianhiller
Missionare in Maria Veen.
Der ersten Eindrücke:
- Ein Obdachloser, der in der Nähe der Pforte saß, sagte als man mich hinbrachte: „Kiek mal, da wird wieder einer katholisch gemacht.“
- Am ersten Abend, im Speisesaal war schön eingedeckt mit einem Nachtisch. Der Nachtisch war ein trockener Kokoskeks. Noch heute kann ich den krümeligen Geschmack nachempfinden.
- Der Schlafsaal mit 10 anderen Kindern, die langen Gänge, deren Fenster in guter Trappistentradition nur den Blick nach oben ermöglichten.
- Die Patres und Fratres
Nach 2,5 Jahren (Kurzschuljahre) kam man gemeinsam zu der
Erkenntnis, dass ich nicht für so ein Haus gemacht bin (Wie wahr!). Und ich
wechselte auf das Gymnasium Petrinum in Recklinghausen und wohnte wieder zu
Hause.
Coesfeld 1972 – 1973
Zu Google Maps: Coesfeld,
Bischöfliches Internat St. Pius
Noch eine westfälische Station. Im Internat allerding nur
ein Jahr, danach bin ich als Externer weiter in Coesfeld zur Schule gegangen. Internatsleben
ist nichts für mich, das hat sich da nochmals bestätigt. Neben dem religiösen
Leben war auch das Gemeinschaftsleben in großen Gruppen eher eine Belastung.
Obwohl manche meinten, ich hätte Ähnlichkeit mit Jesus:
Im zweiten Internat (privat)
Mit meinen Mitschülern vom Pius verbinden mich noch heute
regelmäßige Treffen. Ich hoffe für 2025
auf ein größeres Treffen zum 50-jährigen Abitur.
Marl-Lenkerbeck, Bahnhofstraße (1975)
Zu Google Maps: Marl-Lenkerbeck,
Bahnhofstr. 69
Noch vor dem Abitur dann die erste eigene Wohnung mit meinem
Freund K. Zwei Zimmer, keine Küche, ein kleines Bad ein Stockwerk höher,
Öl-Ofen mit einem Ölfass im Keller. Und die ersten Erfahrungen mit dem
Mietrecht.
Als Neumieter, so dachten wir, können wir uns alles so
gestalten, wie wir das möchten. Das Bad strichen wir tiefblau, die neu und die
Fensterrahmen grün, innen und außen. Von außen konnte man dann unsere Wohnung
gut erkennen, was uns gefiel. Am nächsten Tag kam die Vermieterin und schimpfte
mit uns: Das einheitliche Aussehen des Mietshauses hatte einen farbigen Fleck
bekommen. Wir mussten das dann wieder korrigieren.
Das Gefühl alles beim Einzug neu streichen zu müssen, ist
tief in mir verankert. Die im deutschen Mietrecht verankerte Schönheitsreparatur beim Auszug fand ich
emotional immer widersinnig.
Marl-Sinsen, Bahnhofstraße (1976 - 1977)
Zu Google Maps: Marl-Sinsen,
Bahnhofstr. 140
Nicht weit entfernt, sogar wieder etwas näher am Elternhaus,
die erste gemeinsame Wohnung mit einer Freundin. In der Zeit machte ich meine
Ausbildung zum Chemielaborant bei den CWH. Auch diese Wohnung war sehr
speziell. Alle Räume, vom Eingang, über ein Wohnzimmer, über die Küche mit
offener Dusche bis nach hinten durch zum Schlafzimmer waren Durchgangszimmer. Der
Eingang ist heute zugemauert, wahrscheinlich wurde da kräftig umgebaut.
Die Beziehung ging in die Brüche, meine Lehre habe ich
abgebrochen und ich zog weiter.
Recklinghausen Süd (1977)
Zu Google Maps: Recklinghausen
Süd
Nur kurze Zeit zwischen Ausbildung und Beginn des Studiums
kam ich bei einer Bekannten in Recklinghausen unter. Da ich in Recklinghausen
jobbte, war das sehr praktisch. Aber wir wohnten nicht richtig zusammen, sahen
uns nur selten. Aber ich hatte ein Bett und ein Dach über dem Kopf.
Münster Gremmendorf (1977 – 1978)
Zu Google Maps Münster
Gremmendorf
Im westfälischen Zentrum. Münster: Mittlere Großstadt,
Studierendenstadt, Verwaltungsoberzentrum, Fahrradstadt, Bischofsstadt. Die
Stadt hat eine ähnliche Struktur wie Freiburg, wo ich heute lebe. Ein sehr lebenswerter
Ort.
Im Josef-Suwelak-Weg hatte ich die erste Erfahrung mit einer
Art WG. Der Vermieter hatte den Dachboden seines Einfamilienhauses ausgebaut
und vermietete drei Zimmer an Student:innen. Der Unterschied zu einer richtigen
WG: Er suchte die Mieter:innen aus. Deshalb war ich dann bald mit A. und K. auf
der Suche nach einer richtigen WG-Wohnung.
Beim Auszug lernte ich eine wichtige Funktion der
Mietkaution kennen: Oft bekommt man sie nicht wieder, da noch irgendwelche
Schönheitsreparaturen nötig seien. Nun denn, den Streit darum habe ich nicht
geführt.
Münster Gasselstiege (1978 – 1979)
Zu Google Maps: Münster
Gasselstiege
Der Vorteil an einer teuren Miete ist, dass man sich
plötzlich vorstellen kann, auch in (noch) teureren Wohnungen zu leben.
Geeignete Wohnungen zu finden war damals auch schon schwer. Unsere Dreier-WG
fand einen Neubau mit Tiefgarage im Terrassenstil. Der Schnitt der Wohnung war
zwar nicht WG-tauglich, aber wir fanden eine Lösung. Ich wohnte im größten
Zimmer, das aber gleichzeitig Durchgangs-, Wohn- und Esszimmer war. Im Plan als
‚Wohnzimmer‘ ausgewiesen. K. hatte das ‚Eltern-Schlafzimmer‘ und A. das ‚Kinder-Zimmer‘.
Dieses Kinderzimmer hatte (ungelogen) 6(!), in Worten sechs, Quadratmeter. Was
sich der Architekt dabei gedacht hatte? Für A. passte sein Bett und ein kleiner
Schreibtisch in das Zimmer.
Noch eine Anekdote aus dieser Zeit: Der Hausmeister
verdächtigte uns Mitglieder der RAF zu sein. Die Indizien: Unsere Post mit
linken Zeitungen, die Tiefgarage und die Nähe zur nächsten Autobahn. Mein Fiat
126 stand tatsächlich immer als Fluchtfahrzeug bereit…
Berlin Tempelhof (1979 – 1980)
Zu Google Maps: Tempelhof,
Werderstraße
Meine erste Station in West-Berlin. Es war nicht der
gewünschte Bezirk, aber auch in Berlin war der Wohnungsmarkt schon schwer. Die
Wohnungssuche startete immer freitags 22
Uhr am Verlagsgebäude der Morgenpost, um die Samstagsausgabe mit den
Vermietungsanzeigen schon den Abend vorher zu kaufen.
Ich landete in einer zweier WG mit I. aus F. Die Wohnung war
bezahlbar, ich habe mein Zimmer natürlich
erstmal gestrichen (Ich glaube ein dunkles Beige). Da I. schon vorher da
wohnte und einen Mitbewohner suchte, war es mehr seine Wohnung und sein
Mietvertrag. I. war, was die Ordnung betraf, sehr pedantisch (seine Mutter war
früher so unordentlich, deshalb war Ordnung für ihn sehr wichtig), der
Badezimmerzugang mit einer Ampel geregelt.
Es war ok zusammen zu wohnen, aber ich war trotzdem bald
wieder auf der Suche.
Berlin Kreuzberg, Gneisenaustraße (1980 - 1982)
Zu Google Maps: Kreuzberg,
Gneisenaustraße
Kreuzberg 61 war damals ein Zentrum der Hausbesetzer Szene.
Einmal kam ich aus der nichtsahnend aus der Wohnung in eine Demo und musste
mich in Habakuks Gartenlaube vor einer auf mich zu rennenden Polizeieinheit
retten. Der Wirt schloss die Kneipe ab, aber die Polizei brach die Tür auf. Sie
suchten jemanden in einer roten Hose, ich hatte trotz meiner roten Hose Glück,
dass sie mich nicht mitgenommen haben.
Die Wohnung war eine WG. Ich hatte die ‚Kutscherstube‘
gemietet, die an eine befreundete WG grenzte. Es gab noch einen übertapezierten
Durchgang zur WG, den wir wieder öffneten. Die Wohnung war früher wohl
hochherrschaftlich: im Hochparterre, mit einer (Haus)-Mädchenkammer über dem
Badezimmer, Klingelanlage in der Küche, um die Hausbediensteten zu rufen, einem
eigenen Eingang für die Dienerschaft, ‚Berliner Zimmer‘ mit einem verdeckten Wand
Safe, Stuck an Decke. Unter der Kutscherstube konnten die Pferde in den
Innenhof geführt werden. Alles in allem: So richtig Alt-Berlin in modernen
Zeiten.
Die Miete der Kutscherstube war 50 DM, das war wirklich
günstig. Da ich mich mit der WG zerstritten habe, wachte ich eines morgens auf,
und der Durchgang zur WG war mit einem Schrank zugestellt. Ich war umgezogen,
ohne die Wohnung gewechselt zu haben. Die Toilette war dann eine halbe Treppe
höher, ein Außenklo. Auch Alt-Berlin in modernen Zeiten.
In der Hasenheide; ca. 1982 (privat)
Berlin Kreuzberg, Baerwaldstraße (1982 - 1983)
Zu Google Maps: Kreuzberg,
Baerwaldstraße
Ich zog in ein frisch renoviertes großes Zimmer in eine 4er
WG. (Ich sollte dem Vormieter dann beim Renovieren seiner neuen Wohnung
helfen). Davon waren zwei Sannyasins. Da ich zwischen meinen Indienreisen 1980
und 1982 war, hatten wir gemeinsame Themen, obwohl ich Osho nicht für mich
interessant fand. Die Lage war toll, in der Nähe des Landwehrkanals und
Kreuzberg 61 war immer mein Lieblingsstadtteil.
Da ich Mitte 1982 bis Anfang 1983 wieder auf Indien-/
Asienreise war, hatte ich mein Zimmer an einen ‚Freund‘ untervermietet. Ich kam
dann im Januar 1983 wieder ‚nach Hause‘, die Temperatur war – 6° C, ich hatte
keine festen Schuhe und nur Sommerkleidung. Ich kam zurück und man eröffnete
mir, dass ich ausziehen müsste, da die WG mit meinem Freund besser
funktionierte. Meine Klamotten könne ich mir selbst suchen, die hätten sie
irgendwo hin geräumt. Mein Freund hatte auch nicht gemerkt, dass die Miete
nicht auf mein Konto überwiesen worden ist, so dass wegen der gescheiterten
Mietabbuchungen von meinem Konto mein Sparkassenkonto gesperrt wurde und ich
wurde der Schufa gemeldet.
Nach diesem Kultur-, Klima-, Finanz- und Wohnungsschock
flüchtete ich erstmal wieder in mein Elternhaus. Da wurde ich geistig,
moralisch und körperlich wieder aufgepäppelt.
Berlin Neukölln, Herrfurthstraße (1983 – 1986)
Zu Google Maps: Neukölln,
Herrfurthstraße
Die Ein-Zimmer-Wohnung in der Herrfurthstraße bekam ich
durch einen glücklichen Zufall. Es gab eine Anzeige, dass eine Frau eine/n
Nachmieter:in sucht und zur Besichtigung waren 10 Personen da, die die Wohnung
gerne hätten. Die Vormieterin wusste jetzt nicht, wie sie jemanden auswählen
sollte und einer begann zu erzählen, warum er unbedingt diese Wohnung braucht.
Ich unterbrach und sagte, dass wahrscheinlich jeder von uns gute Gründe habe
und dass es doch dann einfacher sei zu losen. Alle waren damit einverstanden.
Ich machte 10 kleine Zettel fertig und auf einem war ein (Gewinn-)Kreuz. Alle
zogen einen Zettel und übrig blieb der Zettel mit Kreuz und ich bekam die
Wohnung. Ich bin sicher, dass die anderen an einen Taschenspieler Trick von mir
glaubten, aber ich war wirklich, wirklich ehrlich.
Neukölln und speziell die Lage am Herrfurthplatz ist nicht
mehr mit heute vergleichbar. Damals wurde der Flughafen Tempelhof noch von den USA
genutzt und das soziale Leben des Stadtteils waren die Kindle Eckkneipen an
jeder Ecke der Blocks. Es gab eine Kiezkneipe: Alkoven (später Syndikat). Heute
gibt es viele Cafés und Geschäfte und der Flughafen ist Naherholungsgebiet. Die
Veränderungen des Stadtteils kann man hier hautnah spüren.
Die Wohnung hatte einen klassischen Kachelofen. Aus dem Keller musste man immer die Briketts nach oben in den 3. Stock schleppen und im Winter überlegte man schon genau, wann man ihn anheizte und wann nicht. Bei einem Kachelofen dauert es nämlich 5 bis 6 Stunden, bis das Zimmer dann wirklich warm wird. Und natürlich kannte ich auch alle Tricks, wie der Kachelofen über Nacht nicht ausgeht. Die Kachelöfen waren für den typischen Winterduft von Berlin verantwortlich.
Ich bin dann auch noch mal im Haus einen Stock höher
umgezogen. Diese Wohnung hatte eine eingebaute Dusche und einen Kohleofen.
Einmal besuchte mich meine Mutter mit ihrem Mann, die bei mir übernachteten.
Davon gibt es das geflügelte Familienwort, wie er sich von meiner Mutter abends
verabschiedete: „ Gute Nacht Mutti, morgen früh sind wir beide tot.“ Er
befürchtete eine Kohlenmonoxid Vergiftung, da der Ofen nicht vertrauenswürdig
aussah.
Berlin Schöneberg, Potsdamer Straße (1987 – 1992)
Zu Google Maps: Schöneberg,
Potsdamerstr.
Ja, wo fang ich an? Die Potsdamer Str.128 ist für mich eine
besondere Wohnung mit großer Bedeutung. Deshalb am besten erstmal, wie uns
diese Wohnung „zuflog“:
Meine damalige Freundin war schwanger und die
Einzimmerwohnung in der Herrfurthstraße war auf Dauer nicht für uns alle
geeignet und der Wohnungsmarkt war wie immer angespannt. Viele Bemühungen waren
bisher umsonst, aber wir hatten noch ca. 4 Monate Zeit bis zur Geburt. Eines
Sonntags saßen wir in der Herrfurthstraße gemeinsam auf dem Bett und das
Telefon klingelte. Ich sagte aus Spaß, und wer mich besser kennt weiß, dass ich
solche Späße gerne mache: „Jetzt fliegt uns eine Wohnung zu.“ Am Telefon war
dann tatsächlich ein Paar aus der Potsdamerstraße 128, das Nachmieter:innen
suchte. Meine Freundin wollte es erst nicht glauben, aber ich hatte 2 Wochen
vorher eine Such-Anzeige im TIP Berlin, allerdings ohne wirkliche Hoffnung,
aufgegeben.
Es war dann nicht ganz einfach. Für die Wohnung brauchte man
einen Wohnberechtigungsschein für drei Personen und da unsere Tochter noch
nicht geboren war und mangels Geburt auch noch nicht mit mir verwandt, forderte
das Wohnungsamt eine Vaterschaftserklärung des Jugendamtes. Der entsprechende
Standesbeamte beim Jugendamt klärt uns darüber auf, dass man eine Vaterschaft
vor der Geburt nicht rechtskräftig anerkennen kann. Er sprang dann über seinen
Schatten und gab uns eine, nicht rechtskräftige, Bescheinigung.
Die Wohnung war von der neuen Heimat, die gerade für 1 DM an
einen Bäckermeister verkauft worden war. Wir konnten es dann nicht lassen und
haben bei der Bewerbung für die Wohnung auch 1 DM für die Wohnung geboten. Der
Sachbearbeiter hatte zum Glück Humor und wir bekamen die Wohnung.
Wer genau aufgepasst hat, hat eine kleine Unstimmigkeit
bemerkt. Die Herrfurthstraße habe ich bis 1986 bewohnt, die Potsdamerstraße
dann 1987. Ja es gab da keine Überschneidung der Jahre, da wir Sylvester
umgezogen sind. Erst wurden wir von Freunden dafür kritisiert so einen Termin
zu wählen, aber ich hatte bei keinem Umzog eine solche Unterstützung. Alle
hatten Zeit und es hat toll geklappt. Deshalb mein Tipp: Wenn Ihr mal umziehen
müsst, Sylvester ist ein toller Tag und Ihr könnt Euch das Umzugsunternehmen
sparen.
Also zogen wir in die Potsdamerstr. 128, Ecke
Kurfürstenstraße. Eine lebendige Ecke mit zwei Gesichtern, einem Tagesgesicht
mit quirligem Stadtleben und einem Nachtgesicht mit dem Treffen einer Junkie
Szene und einem Straßenstrich. Und einer historischen Komponente, die in dem
Buch von 1983 ‚Potsdamerstraße‘ (Benny Härlin / Michael Sontheimer) aufgearbeitet
wurde. „Unser“ Haus wurde erst danach gebaut, aber in dem Buch wurde die
Geschichte dieses Grundstücks vom märkischen Acker bis zum besetzten Hinterhaus
der 80iger Jahre aufgearbeitet. Schön, wenn man so viel darüber erfährt.
Gedenkstelle: Klaus-Jürgen Rattay (privat)
Die Wohnung haben wir dann weitergegeben an eine Cousine 2.
Grades von mir, die auch ihre Tochter C. in dieser Wohnung durch eine
Hausgeburt bekam. Die beiden dort geborenen Kinder haben die gleichen
Ururgroßeltern aus dem Westfälischen. Ob sie von dieser doppelten Gemeinsamkeit
wissen?
Potsdamer Straße 128 heute (privat)
Die Potsdamerstraße war meine letzte Station in Berlin. Die
Stadt hatte sich inzwischen von West-Berlin in Berlin weiterentwickelt und ich
war plötzlich in einer anderen Stadt, ohne die Wohnung gewechselt zu haben. Wir
entschieden uns von dem sozialen Brennpunkt Berlin in die „heile Welt“ im
badischen Freiburg zu ziehen.
Merzhausen (1992 – 1999)
Aus Berlin ins beschauliche Merzhausen. Das Leben im
Badischen ist schon etwas langsamer als in Berlin. Ob das an der Nähe zur
Schweiz liegt? Die Umstellung auf die andere Geschwindigkeit, z.B. Beispiel im
Supermarkt, wo trotz langer Schlange an der Kasse gern mal ein Schwätzchen
gehalten wird, und auch auf den badischen Dialekt, hat schon ein bisschen
gedauert, gell?
Freiburg St. Georgen, Bergiselstraße (1999 – 2000)
Zu Google Maps: St.
Georgen, Bergiselstraße
Diese Wohnung ist bei mir vor allem mit drei Ereignissen verknüpft:
- Die totale Sonnenfinsternis, die vom Balkon aus betrachtet, eine absolute Stille im Dämmerlicht brachte. Kein Verkehr war zu hören und auch die Vögel waren still.
- Der Wintersturm ‚Lothar‘, der Bäume entwurzelte und mich ‚heldenhaft‘ mit den Mülltonnen kämpfen ließ.
- Der Jahrtausendwechsel. Als Jugendlicher war das Jahr 2000 unendlich weit weg, heute ist es schon noch nicht so lange vorbei. Die Zeit hat anscheinend doch unterschiedliche Geschwindigkeiten.
Freiburg Haslach, Uferstraße (2000 – 2005)
Zu Google Maps:
Haslach, Uferstraße
Das Haus in der Uferstraße war eine frühere Polizeistation,
die zu Wohnungen umgebaut wurde und die Wohnung war eine Maisonettewohnung
unter dem Dach mit vielen Schrägen. Dort lernte ich auch, in einem kleineren
Rechtsstreit mit dem Vermieter, die
Bedeutung der Schrägen und der Balkone für die Wohnraumbemessung kennen. Dafür
ist es auch wichtig, ob man vom Balkon zu einer Parklandschaft oder auf einem
Parkplatz blickt.
Jahre später zog meine Tochter Z., die ihre ersten 4 Jahre
in dieser Wohnung lebte, zufällig wieder in die gleiche Wohnung in eine WG.
Freiburg Vauban, Astrid-Lindgren-Straße (2005 – heute)
Zu Google Maps: Vauban, Astrid-Lindgren-Straße
Das Haus bzw. die Wohnung im Vauban haben wir zusammen mit
einer Baugruppe mit insgesamt 12 Parteien gebaut. Auch eine neue Erfahrung mit
vielen Gruppensitzungen, Finanzierungsfragen und Grundsatzentscheidungen. Ich
lernte Bauverträge und Teilungsverträge, Förderungsmöglichkeiten wie
Baukindergeld, WEG (Wohnungseigentümergemeinschaft) und Hausverwaltung kennen.
Und wie fast immer gibt es zwei Seiten der Medaille: Die unangenehmste Seite war
ein 15(!) Jahre langer Rechtsstreit über Baumängel. Die beste Seite: So ein
Bauvorhaben ist eine langfristige Entscheidung, bei der man anfangs das Risiko
nicht abschätzen kann und für mich war es, jetzt im Rückblick und im Hinblick
auf den Immobilienmarkt, eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
Der Stadtteil Vauban ist ein Modellstadtteil, entstanden auf
dem Gelände einer ehemaligen, zuletzt von Frankreich genutzten Kaserne.
Verkehrsarm, kinderfreundlich, ökologisch, urban, mit Infrastruktur wie Läden,
Straßenbahn, Kindergärten und Schule. Bei der Planung des Stadtteils wurden
künftige Bewohner:innen nicht nur einbezogen, sondern sie waren selbst
initiativ und aktiv beteiligt.
Blick übers Vauban (privat)
Das Leben im Vauban hat, insbesondere mit Kindern, eine so
hohe Lebensqualität, dass ich mal in den Raum warf: ‚Das ist wie Kommunismus!‘.
Mein Schwiegervater erwiderte: ‚Ah, Kommunismus ist da, wo es Dir gefällt!‘.
Wie Ihr seht, wohne und lebe ich hier sehr gerne und habe
tatsächlich keine Ambitionen nochmals umzuziehen. Ob ich tatsächlich ‚mit den
Füßen zuerst…‘ aus dieser Wohnung herausgehen werde, wird die Zukunft zeigen.
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