Wie ich „plötzlich“ auf der Waage die 100 kg entdeckte
Mein Gewicht im Dezember 2021: 100 kg.
Bevor ich über das Abnehmen spreche, muss ich erstmal über
das Zunehmen sprechen. Zu meinen Rahmendaten: Ich bin 182 cm groß und 67 Jahre
alt. Meine historischen Werte: als Jugendlicher mit 18 Jahren ca. 60 kg, dann
bis Mitte 20 65 kg.
Die Indien-Diät
Dann kamen meine Indienreisen. Da war das Essen für mich
nicht passend und ich kam jeweils mit 52 kg wieder zurück. Bei einer
Untersuchung beim tropenmedizinischen Institut winkte mich der Arzt aus dem
Wartebereich heraus, da er dachte, dass ich eine schlimme Krankheit hätte. Aber
die Untersuchung brachte keine Ergebnisse, ich hatte nur zu wenig gegessen.
Die verlorenen Kilos bekam ich schnell wieder drauf und ich
dachte: Falls ich je zu viel wiegen würde, fahre ich nach Indien. Dann ist es
für mich ganz einfach abzunehmen. Inzwischen reizen mich Fernreisen nicht mehr
so, so dass die Indien-Diät für mich nicht mehr wirklich attraktiv ist. Aber
weiter im Lauf der Zeit: Eigentlich habe ich immer zugenommen. Pro Jahr ca. 1-2
kg. Das ist ja nicht viel in einem Jahr, aber mit der Zeit läppern sich da
einige Pfunde zusammen.
Ausdauersport
Meine Ausdauersportphase in meinen 40igern: Angefangen mit
10 min Joggen und Gehpausen über den olympischen Triathlon (Meine Brüder
erinnern sich noch daran) steigerte ich die Ausdauer bis zum Ironman in
Klagenfurt (3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und dann noch ein Marathon). Ich
bin dann bei 78 kg gelandet. Ein gutes Gewicht laut BMI und für mich alles im
grünen Bereich.
Body Mass Index (BMI)
Die folgenden Jahre ging es wieder mit den schon bekannten 1-2
kg aufwärts. Nach dem BMI kommt man mit 83 kg in den Bereich des Übergewichts.
Aber glücklicherweise gibt es da differenziertere Messmethoden, die Alter und
Geschlecht mit einbeziehen und so blieb ich sehr lange noch im „Idealgewicht“,
obwohl ich die Anzeichen, insbesondere den Bauchumfang, natürlich sehen konnte.
Vermeidungsstrategien und Rückmeldungen
Neben dem etwas freundlicheren BMI wurden die T-Shirts und
Pullover etwas größer, bei Gruppenfotos wurde der Bauch eingezogen,
unvorteilhafte Fotos wieder gelöscht. Außerdem kann man natürlich zu seinem
Körper, so wie er ist, stehen. Abnehmen war für mich keine Alternative.
Es mehrten sich die Rückmeldungen:
- T.: „Wenn die Organe nach unten rutschen…“
- H.: „Mensch Michael, Du hast ja einen richtigen Bauch bekommen.“
- G.: „Gut, dass es mal jemand sagt.“
- E.: „Du hast ja eine richtige Plauze“
Diese Rückmeldungen ließen mich über Body Shaming, Body
Positivity, Body Neutrality oder Body Liberation nachdenken, aber das ist heute
nicht das Thema.
Körperliche Beschwerden
Das höhere Gewicht hatte auch körperliche Auswirkungen.
Treppensteigen, Beweglichkeit, Schuhe zubinden, unrunder Gang: Alles
gleichzeitig auch Alterserscheinungen. Wie Joschka Fischer (noch vor seinem
langen Lauf zu sich selbst) in bierseliger Runde mal sagte: „Man wird älter,
man wird schwerer.“ Es scheint wie ein Naturgesetz zu sein.
Noch etwas, das ich gar nicht mit dem Gewicht in Verbindung
gebracht hatte: Sodbrennen bzw. Reflux und ein dazu passender Husten. Das kam
ganz langsam und vor allem nachts. Die Reaktionen: Später zu Abendessen, bestimmte
Speisen vermeiden, Medikamente gegen Reflux und dann noch ein Keilkissen für
die Nacht. Für mich einfach als Alterserscheinung akzeptiert.
Strategien
Welche Strategien hatte ich, mit der ziemlich kontinuierlichen Gewichtszunahme und den gesundheitlichen Einschränkungen umzugehen?
- Ignorieren
- Gelegentlicher, aber nicht regelmäßige Sport
- Fitness Center
- Akzeptieren
Die Möglichkeit Ernährungsgewohnheiten zu ändern, spielte
auch nur sporadisch eine Rolle. Mittagessen in der Betriebskantine, später dann
zu Hause im Homeoffice blieben feste Bestandteile meines Tagesplans.
Die Wende
Die Kraft der runden Zahl: 100 kg. Wenn die Waage morgens
dreistellig ist. Auch der „gnädigere“ BMI sagt dann einfach adipös. Seit einem halben Jahr war ich ‚In Rente‘, war noch immer in einer ambivalenten Übergangszeit und beschloss meine Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Noch nicht mit dem Ziel viel abzunehmen. Aber ich wollte gesünder leben und die weitere Gewichtszunahme stoppen.
Der Obstsalat
Anstatt eines Mittagessens bereitete ich mir mittags immer
einen Obstsalat: Saisonale Früchte, verfeinert mit ein bisschen Skyr. Das ist
bis heute meine Mittagsmahlzeit und eine Basis des Abnehmens.
Weniger essen
Ich beschloss, bei den Mahlzeiten weniger zu essen. Nicht
so, dass ich hungrig blieb, aber nicht mehr bis zur vollständigen Sättigung,
insbesondere wenn es gut schmeckte. Außerdem reduzierte ich das „Abendsüß“ auf
eine kleine Menge. Den Genuss wollte ich mir nicht nehmen, aber dann doch
reduziert. Dazu gehört ein bisschen Disziplin, aber auch nicht zu viel. Der
Vorsatz und die Regel sind da hilfreich.
Nordic Walking
Ein zweites Element war mehr Bewegung. Auch hier stand nicht
das Abnehmen im Vordergrund, sondern die allgemeine Fitness. Regelmäßig durch
die Reben und um den Schönberg herum zu walken, stärkt Körper und Geist.
Wichtig ist die Regelmäßigkeit, und der schöne Effekt, dass die Fortschritte am
Anfang immer besonders groß sind. Ich fühlte mich schnell fitter, sowohl
körperlich als auch mental.
Zwischenergebnis 1
Die ersten beiden Monate (Januar/ Februar) habe ich jeweils
2 kg abgenommen. Da ich keine Ziele definiert hatte, war ich sehr zufrieden mit
dem Ergebnis. Sogar ein bisschen verwundert. Ohne große Einschränkungen, sogar
mit einer Verbesserung der Lebensqualität (schmackhaftes, gesundes Mittagessen
und größerer Fitness durch Bewegung), hatte ich abgenommen. Es war ein sanftes
Durchbrechen des ehernen Gesetzes: „Man wird älter, man wird schwerer.“
Dieser Anfangserfolg war sehr motivierend und eröffnete eine
neue Perspektive: Mittelfristige Gewichtsreduktion ohne Diät. Nur mit wenigen
Stellschrauben ohne wesentliche Einschränkungen zu einem „Normalgewicht“ zu
kommen, erschien plötzlich möglich.
Mein Freund D. berichtete von seinen Erfahrungen: Bei einer
Wandertour verzichtete er regelmäßig auf das Mittagessen und hatte einen guten
Einstiegserfolg beim Abnehmen. Als er das aber dann im Alltag fortführen
wollte, nahm er nicht mehr ab und hatte dann keine Lust mehr das fortzusetzen. Aber es erschien ihm so, dass Bemühungen
vergeblich sind und durch physiologische Prozesse das Abnehmen gestoppt wird.
Wahrscheinlich wird dann Motivation und Konsequenz gestoppt.
Kleiner Exkurs: Wann nimmt man ab?
Es gilt eigentlich eine einfache, klare Regel: Wenn ich weniger Kalorien zu mir nehme als ich verbrauche, nehme ich ab. Das ist so etwas wie ein Naturgesetz. Es mag sein, dass die Regel individuell ein bisschen modifiziert zu betrachten ist. Stoffwechselprozesse spielen in kleinerem Maße auch eine Rolle, aber der Grundsatz gilt. Man hat also im Wesentlichen zwei Stellschrauben:
- Weniger Kalorien zu sich nehmen
- Mehr Kalorien verbrauchen
Bestimmte Diäten wie Intervallfasten o.ä. unterstützen dabei
eventuell, aber die Regel gilt: Wenn ich etwa 7000 Kalorien mehr verbrauche als
ich zu mir nehme, nehme ich ca. ein Kilogramm ab.
Auf der Waage merkt man das nicht immer sofort, da z.B.
durch Wassereinlagerungen durch hormonelle Schwankungen oder lange Reisen im
Sitzen, die Waage nicht immer „gnädig“ ist. So kann es sein, dass man nach
einer Woche, trotz wenig Essen und viel Bewegung, nicht abgenommen hat. Das
kann frustrieren, aber vielleicht springt dann die nächste Woche gleich um 2 kg
nach unten.
Die Beschleunigung
Eigentlich bin ich kein Freund einer technischen Kontrolle.
In meinen Triathlonzeiten habe ich Trainingszeiten, Herzfrequenzen und
Geschwindigkeiten getrackt. Das war wichtig für den Trainingserfolg und
letztendlich auch dafür, einen Ironman finishen zu können. Seit dieser Zeit,
ohne klare Ziele fand ich eine Laufuhr eher überflüssig.
Der Fitnesstracker
Da ich in gewisser Weise technikaffin bin und mir manchmal
ein Technikgadget gönne, bin ich in der Zeit um die neuen Fitnesstracker
„rumgeschlichen“. Diese haben sich ja im Vergleich zu den Laufuhren vor 20
Jahren enorm weiterentwickelt und bieten für die beiden zentralen Themen des
Abnehmens „Weniger Kalorien zu sich nehmen“ und „Mehr Kalorien verbrauchen“
viele teils automatische Funktionen. Und auf die Empfehlung meiner Frau hin
(„Mach das doch!“), habe ich mir dann einen dieser Fitnesstracker geleistet.
Kalorienverbrauch
Der Tracker erfasst sowohl den normalen Kalorienverbrauch,
ohne dass ich mich bewege, als auch den Verbrauch beim Sport oder auch anderen
Aktivitäten wie zum Beispiel Spazieren gehen. So habe ich an jedem Tag mein
Ergebnis. Ich bin mir darüber bewusst, dass das nicht exakte Werte, sondern
errechnete Werte sind. Aber die Tracker können schon einen recht genauen
Anhaltspunkt angeben.
Die Ergebnisse sind sehr motivierend, insbesondere wenn man
dann mal einen längeren Zeitraum betrachtet. Auch die Motivation eine
Extrarunde zu drehen wächst. Außerdem hat man die erste Variable des Abnehmens
dokumentiert.
Kalorienaufnahme
Ein bisschen aufwendiger, nicht so automatisiert, ist die
Protokollierung des Essens. Da zu dem Tracker auch eine App dazugehört kann man
regelmäßige Gerichte hinterlegen. Der Zugriff auf eine Datenbank ermöglicht es
auch die Kalorien zu abzurufen bzw. zu speichern. So habe ich die Übersicht,
wieviel Kalorien ich schon gegessen und getrunken habe.
Die Vorteile
Über die Eingabe eines Zielbudgets und über den Vergleich
mit dem aktuellen Verbrauch hat man immer den Überblick, wo man steht. Auch für
die „kleinen“ Speisen für den Hunger zwischendurch hatte ich plötzlich ein
besseres Gefühl. Ein Toast mit Butter und einer Scheibe Gouda hatte plötzlich
einen Wert und durch die Halbierung der Butter und der Scheibe Käse ein
Einsparpotential.
Außerdem kann man durch die Dokumentation des aktuellen
Gewichts und den Vergleich mit einer Zielsetzung die Fortschritte sehen. Das
motiviert mich auch beim Weitermachen.
Zwischenergebnis 2
Der Abnehmprozess hat sich dadurch beschleunigt. Mal 3 kg,
mal 4 kg pro Monat. Inzwischen fiel es auch im Umfeld auf (Sag mal, hast Du
abgenommen?), die Hosen und T-Shirts waren zu groß, am Gürtel musste ich ein
neues Loch stanzen. Neue passende Kleidung zu kaufen ist dann immer noch
kritisch. Zum einen glaubt man noch nicht zu 100% an den Erfolg. Immer wieder
liest man vom JoJo Effekt. Oder das Ende ist auch noch nicht absehbar.
Immer noch war ich überrascht, dass es eigentlich so
„einfach“ ist, ohne Diät und ohne wesentliche Einschränkungen das Gewicht zu
reduzieren. Ich musste mir Gedanken machen, wie weit will ich diesen Weg noch
gehen und wie kann ich das Gewicht dann halten?
Wohlfühlgewicht
Es gibt da keinen Wert, der offensichtlich ist. Ich hatte bei der regelmäßigen Gewichtskontrolle dann mein „Freu“-Ergebnis, als der BMI bei 25 (Idealgewicht) landete. Noch ein Kilo „Reserve“ und ich war tatsächlich Ende Juli nach sieben Monaten bei 18 kg. Hätten man mir das vor einem Jahr gesagt, hätte ich es nicht für möglich gehalten.
Das nächste Ziel ist es, das Wohlfühlgewicht zu halten. Dazu
nutze ich die App und den Fitness Tracker nur noch sehr eingeschränkt,
hauptsächlich zum Notieren des aktuellen Gewichts. Beim Essen und Trinken halte
ich mich zurück, beim Abendsüß bleibt es bei den kleinen Mengen und mein
Mittagessen ist weiter mein Obstsalat. Aber ich gönne mir am Nachmittag auch
ein paar Spekulatius und am Sonntag ein zweites Frühstücksbrötchen.
Ergebnis
Was hat das jetzt gebracht? Ich zähle mal einfach auf:
- Ich komme leichter die Treppen hoch
- Mein Sodbrennen (und der Husten) ist weg, das Keilkissen oben auf dem Schrank
- Beim Walking bin ich fitter
- Mein Ruhepuls ist von 72 auf 66 Schläge/min gesunken
- Der Kardio-Fitness Wert in meiner App ist von 38-42 auf 44-48 gestiegen (hervorragend für Männer in meinem Alter.)
- Ich kann mir die Schuhe leichter zubinden
- Der Bauchumfang ist um 12 cm zurückgegangen
- Meine T-Shirt-Größe von XXXL zu XL
- Die Hosenweite von 36 inch auf 33 inch
- Viele positive Rückmeldungen in der Familie und auch außerhalb
Mein „gefühltes“ Alter: 5-10 Jahre jünger. Und erstaunlicherweise
bin ich auch im Ruhestand angekommen…