Mittwoch, 1. März 2023

Recht und Gerechtigkeit

 

Recht und Gerechtigkeit

 




Als Kind und auch später noch, war mein Gerechtigkeitsgefühl, zumindest das subjektiv, stark ausgeprägt. Wenig konnte mich mehr aufregen als Ungerechtigkeit. In der Kindheit hat das noch nichts mit dem Rechtssystem zu tun,  das kommt erst später ins Bewusstsein. Ich habe immer in einem Rechtsstaat gelebt, vielleicht hatte ich deshalb das Gefühl, in meinem Leben nicht viel mit Recht und Gesetz, mit Recht und Gerechtigkeit, zu tun gehabt zu haben.

Beim biografischen Forschen bin ich dann zu einem anderen Ergebnis gekommen  und wundere mich darüber, dass das so ausgeblendet war. Subjektiv gefühlt: Nie bzw. selten habe ich das Rechtssystem in Anspruch genommen. Objektiv: Es zieht sich durch mein ganzes Leben.

Angefangen von der Rechts AG in der Schule, in der ich Grundlagen des BGB und Strafrechts kennenlernte und einen Prozess besuchte bis zu meiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Arbeitsrichter, die Mitte dieses Jahres zu Ende geht.

 

Die gestohlene Fahne

 

Ich war 15 Jahre  und mit meinen Eltern und meiner Schwester im damaligen Jugoslawien, im heutigen Kroatien in Urlaub. Der Ort hieß: Moschenitzka Draga. Mir gefiel es da so gut, dass ich eine Woche länger als meine Familie blieb. Mit einer Familie, die wir dort kennengelernt hatten, wollte ich dann wieder zurückfahren. Meine Familie fuhr schon nach Hause und ich packte eine jugoslawische Fahne in ihren Koffer, die wir, ein paar Jugendliche am Urlaubsort, von einem Partisanen Denkmal geklaut hatten. Die Fahne sollte als Souvenir mit zurück nach Deutschland.

Wir Jugendlichen hatten gemeinsam am Strand gefeiert, heute würde man wahrscheinlich sagen: Wir haben Party gemacht und irgendeiner hat die Fahne am Denkmal runtergeholt und ich habe damals mit dem jugoslawischen Sozialismus und auch den Partisanen sympathisiert. Deshalb bekam ich die Fahne.

Zitat Wikipedia: „Leitsätze des Jugoslawischen Sozialismus waren: In der Außenpolitik die Blockfreiheit, in der Wirtschaftspolitik die Arbeiterselbstverwaltung, in der Innenpolitik ‚Brüderlichkeit und Einheit‘.“

In der Zwischenzeit hatte die Polizei Ermittlungen aufgenommen und über mehrere Stationen der Ermittlung kam dann heraus, dass ich die Fahne hatte und musste zur Polizei nach Opatija. Der Kommissar begrüßte mich mit den Worten: „Du böse, Du Gefängnis!“. Bei uns zu Hause ist das bis heute ein ‚geflügeltes Wort‘ geblieben.

Obwohl ich mit 15 Jahren noch sehr jung und naiv war, konnte ich schon verstehen, dass ich mich nicht in eine politische Diskussion einlassen durfte. Ich habe dann gesagt, dass wir Bier getrunken haben und dass es aus Übermut passiert ist und dass es mir leid tut. Das Problem war nur, dass die Fahne unterwegs nach Deutschland war. So schrieb ich ein Telegramm (ja, das gab es damals noch und erstaunlicherweise ist der Telegrammdienst der Post erst zum 31.12.2022 eingestellt worden) an meine Tante, da ich wusste, dass meine Eltern dort übernachteten: „Schickt sofort die Fahne an Polizeistation Opatija!“  

Ob sich meine Mutter Sorgen um mich machte, weiß ich nicht mehr. Ich musste mich jeden Tag bei der Polizeistation melden.  Nach 5 Tagen kam die Fahne an und am 6. Tag kam es dann zum Prozess.

Ich bekam sogar einen mit österreichischem Akzent  sprechenden Dolmetscher in der Verhandlung (aber keinen Verteidiger) und der Abend am Strand und Denkmal wurde noch mal aufgearbeitet. Als mildernde Umstände wurde berücksichtigt:

  • Ich war nicht vorbestraft
  • Ich war jung
  • Ich war alkoholisiert
  • Die Fahne war sauber und unbeschädigt
  • Ich wurde dann zu 2 Jahren Einreiseverbot, einer Geldstrafe von umgerechnet 20 DM und zur sofortigen Ausweisung verurteilt.

    Den nächsten Tag fuhr ich dann (wie geplant) wieder zurück nach Deutschland. Heute denke ich, dass ich glimpflich davon gekommen bin.

     

    Das Plakat

    Die Sozialistische Deutsche Arbeiter Jungend (SDAJ) in Marl veranstaltete 1976 und 1977 zwei Musik Wettbewerbe: ‚Marler Musik Markt‘. Einmal spielte dort, neben lokalen Musikgruppen, auch Peter Paul und Barmbek. Die beiden Veranstaltungen waren sehr gut besucht und für uns als SDAJ ein großer Erfolg.

    Aber es gab noch ein kleines juristisches Nachspiel. Nicht wegen der Einnahmen, die evtl. hätten versteuert werden müssen, sondern wegen wild geklebter Werbeplakate. Ich bekam eine Aufforderung mich deshalb bei der Polizei zu melden.

    Das machte mich nervös und die SDAJ nannte mir einen Anwalt, der mich dazu beraten könnte. Also ging ich dahin. Er riet mir, dass ich bei der Polizei einfach keine Aussage mache. Das habe ich dann auch getan. Der Polizist versuchte mir etwas zu entlocken, ich wäre doch in der SDAJ und auf den Plakaten stand kein Verantwortlicher und ich hätte sie doch bestimmt geklebt. Wie gesagt, ich sagte dazu nichts.

    Die Sache verlief dann im Sand und ich hörte nichts mehr davon. Zwei Jahre später kam überraschend noch eine Rechnung des Anwalts über 50 DM. Ich war zwar davon ausgegangen, dass die SDAJ das bezahlen würde, aber dem war nicht so. Ich glaube, dass ich seit dieser Zeit Anwaltsrechnungen gegenüber skeptisch bin.

     

    Der Mofa-Unfall

    Als ich meine Ausbildung zum Chemielaboranten machte, kaufte ich ein Mofa, mit dem ich morgens zur Arbeit fuhr. Dabei stieß ich mit einer Radfahrerin zusammen, die sich dabei verletzte und sogar ins Krankenhaus musste. Eigentlich war ich mir keiner Schuld bewusst, aber da das Mofa versichert war, machte ich mir keine Sorgen.

    Die Radfahrerin besuchte ich noch im Krankenhaus, brachte Blumen und wünschte gute Besserung. Irgendwann später kam dann ein Strafbefehl. Der Betrag und die Tagessätze waren nicht sehr hoch. Ich überlegte dann, ob ich dagegen vorgehe. Dann hätte ich einen Anwalt gebraucht und vor diesen Kosten scheute ich mich, so dass ich einfach bezahlte.

    Ich hatte nicht bedacht, dass das Auswirkungen auf die Zukunft haben könnte. Aber bei einer Verkehrssache Jahre später, wurde mir das vorgehalten. Heute denke ich, dass man in so einem Fall doch etwas dagegen hätte unternehmen müssen.

     

    Die Kriegsdienstverweigerung

    Das Thema Kriegsdienstverweigerung war in meiner Jugend ein großes politisches Thema. Es gab einmal eine sehr schöne Plakat Aktion: Auf dem Plakat stand nur 4/3 und niemand wusste, was das bedeuten sollte. In einer großen Zeitung spekulierte man über einen 4/3 Takt. Das Rätsel wurde dann von der Deutschen Friedensgesellschaft Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG VK) aufgelöst:




    Vielleicht noch zum historischen Hintergrund: Damals gab es in der BRD eine allgemeine Wehrpflicht und wer sich auf den Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes berief, musste seine Gewissensentscheidung nachweisen und, nach Anerkennung,  dann einen wesentlich längeren Ersatzdienst, später Zivildienst antreten. Beides ist nicht sehr attraktiv.

    Als politisch engagierter Jugendlicher war ich auch Kriegsdienstverweigerer und bin den gesamten Prozess durchlaufen. Zuerst stellte man einen Antrag beim Kreiswehrersatzamt. Dass das Kreiswehrersatzamt hat nichts mit dem Ersatzdienst zu tun, sondern ist ein Organisationsteil der Bundeswehr, das für die ‚Ersatz‘-Beschaffung des Personalbedarfs der Bundeswehr zuständig ist. Deshalb war der Prüfungsausschuss in der Regel sehr einseitig.

    Mit dem Gewissen ist es so eine Sache. Da der Nachweis nicht ganz einfach ist, erläuterte man im Antrag, wie man zu dieser Gewissensentscheidung gekommen war, brachte Zeugnisse von Lehrern oder Priestern mit, die dann bezeugten, dass man aus Gewissensgründen nicht töten kann. Der Prüfungsausschuss des Kreiswehrersatzamts meinte dann das durch solche Fragen überprüfen zu können (kein Witz!):

    „Sie sind mit der Freundin im Wald und plötzlich sind Sie von einer Horde bewaffneter Vietnamesen umzingelt, die Ihre Freundin vergewaltigen wollen. Sie haben ein Maschinengewehr. Würden Sie dann schießen?“

    Eine ernste Auseinandersetzung mit einer Gewissensentscheidung fand in diesen Verfahren nicht oder nur selten statt. So wurde auch ich im ersten und zweiten Verfahren nicht anerkannt.

    Nach dieser Absage bekam ich einen Einberufungsbescheid (Panzerjäger) und sollte aus der Ausbildung heraus zur Bundeswehr eingezogen werden. Da ich inzwischen eine Klage gegen den Beschluss des Prüfungssauschusses eingereicht hatte, wurde ich noch mal zurückgestellt.

    Die Klage zog sich sehr lange hin. Inzwischen hatte ich ein Studium in Münster aufgenommen, das ich in Berlin fortsetzte. In der Zeit kam es dann zur Verhandlung und ich wurde als Kriegsdienstverweigerer anerkannt.

    Da Westberlin damals durch den Viermächte Status nicht in den Einzugsbereich der Bundeswehr und der Zivildienstämter  gehört, musste ich auch den Zivildienst nicht ableisten.

    Kurzer Exkurs: Aktuelle „Friedensbewegung“

    Man kann nicht über die eigene Kriegsdienstverweigerung schreiben, ohne den gerade aktuellen Bezug zum Ukraine Krieg ins Bewusstsein zu bekommen. Es ist nicht mein heutiges Thema, deshalb ein kurzer Kommentar.

    Die oben genannte Organisation DFG-VK hat gerade mit Wagenknecht und Schwarzer zu einer großen Kundgebung in Berlin aufgerufen. Es tat weh sie auf der Bühne selbstverliebt lächelnd zu sehen, die Verantwortung für diesen Krieg ausblendend, die russischen Fahnen ignorierend, die Kumpanei mit den Rechtsextremen billigend. Gemeinsam ist ihnen anscheinend, unsere Gesellschaft zu spalten.  

    Die rote Ampel

    In Berlin war ich fast zehn Jahre Taxifahrer und die Verkehrsregeln waren, wenn ich ehrlich bin, für mich nicht immer zwingend. (Heute bin ich ein sehr defensiver Fahrer, wenn ich denn mal fahren muss.) So bekam ich einmal ein Bußgeld für eine angeblich überfahrene rote Ampel. Daran konnte ich mich nicht erinnern und meine Recherchen ergaben, dass es an einem Tag mit Schneefall und schneebedeckten Straßen passiert sein musste. Es gab kein Foto, sondern nur Zeugenaussagen.

    So legt ich Widerspruch ein und es kam zu einer Verhandlung. Die Zeugen waren drei Polizisten, die von der Arbeit gerade nach Hause fuhren. Zwei konnten sich nicht mehr erinnern, einer konnte es noch.

    Der Richter sagte: „Ich kann hier nur nach der Zeugenaussage gehen, da ich nicht über der Kreuzung schwebte.“ Er verwies mich auf meinen Mofa-Unfall, gegen dessen Strafbefehl ich nicht vorgegangen war. (Man sieht, dass Versäumnisse der Vergangenheit auch lange später noch Folgen haben.) Und, da ich nicht anwaltlich vertreten war, empfahl er mir, den Widerspruch zurückzunehmen.

    Zum Glück war ich nicht beratungsresistent und folgte seinem Rat. Ich bezahlte das Bußgeld. Für evtl. Gerichtskosten kam nie ein Bescheid.

     

    Die Richtlinie Erziehungsgeld

    Als Vorläufer vom Elterngeld gab es früher das Erziehungsgeld. Es war nicht sehr komfortabel ausgestattet, aber trotzdem natürlich ein wichtiger Zuschuss. Und es war, wie bei allem, bei dem das Einkommen be- und angerechnet wird, sehr kompliziert.

    So war ein Paragraf aus dem Einkommensteuerrecht, der GmbH Geschäftsführer ohne Altersvorsorgezusage betraf, mit maßgeblich für die Berechnung des Erziehungsgeldes. Da ich gerade meinen Bilanzbuchhalter IHK gemacht hatte, war ich im Steuerrecht recht firm und der Paragraf erschien mir auf unsere Situation zutreffend. Im Bescheid wurde er aber nicht berücksichtigt.

    Da ich wegen der Komplexität nicht sicher sein konnte, überlegte ich, ob ich einen Anwalt hinzuziehe. Es ging um einen Betrag von 1000 DM, für mich viel Geld, doch ich wollte keine Anwaltskosten produzieren. Im Sozialrecht kann man in der ersten Instanz auch ohne Anwalt auftreten, so dass ich einen Widerspruch schrieb und nach Ablehnung eine Klage einreichte.

    Bis es zum Prozess kam dauerte ca. zwei Jahre. Ich begründete die Klage so gut ich konnte und die LAKRA, die für das Erziehungsgeld zuständig war, antwortete mit für mich sehr merkwürdigen Begründungen. Sie hatten mit dem eigentlichen Sachverhalt nichts zu tun und es schien mir, dass die Jurist:innen der LAKRA mit den Textbausteinen durcheinander gekommen sind. Aber man weiß ja nie…

    Der Richter der ersten Instanz beim Sozialgericht Freiburg leitete die Sitzung so ein: „Wenn ich die Zeit gehabt hätte, das vorher zu lesen, dann wäre es wohl nicht zu der Verhandlung gekommen.“ Er folgte meine Argumentation, die Anwältin der LAKRA argumentierte dagegen und sagte, dass sie ein Urteil braucht, da eine Richtlinie sie darauf verpflichtet. Ich bekam die 1000 DM im Urteil zugesprochen, aber ich freute mich zu früh.

    Rechtzeitig legte die LAKRA Berufung ein und die klagte beim Landessozialgericht. Da es bei der zweiten Instanz eine Anwaltspflicht gibt, stand ich vor der Entscheidung doch eine anwaltliche Vertretung hinzuzuziehen. Die Richterin des Landessozialgerichts nahm mir diese Entscheidung jedoch ab. Sie schrieb in Richtung LAKRA: „Wann werden Sie Ihre rechtswidrige Praxis einstellen?“ und fragte, ob nach Aktenlage ohne Verhandlung entschieden werden könnte. Da beide Seiten damit einverstanden waren, brauchte ich doch keine anwaltliche Vertretung.

    Das Urteil ging zu meinen Gunsten aus und bis heute bin ich stolz darauf, als juristischer Laie eine Richtlinie weggeklagt zu haben.

     

    Die Scheidung

    Das Amtsgericht ist als Familiengericht für die Scheidung einer Ehe zuständig. Eine Scheidung ist oft mit vielen auch emotionalen Belastungen verbunden, aber hier bleibe ich beim Thema Recht.

    Vorweg: Wir haben es geschafft unsere Ehe einvernehmlich zu scheiden, d.h. eine:r lässt sich anwaltlich vertreten und der:die andere stimmt dann allen Anträgen zu. Damit spart man eine ganze Menge an Kosten.

    Da wir uns auch einvernehmlich über Unterhalt und Aufteilung von Haushalt etc. geeinigt hatten, war nichts mehr zu regeln. Dem Anwalt hatten wir erzählt, wie unsere Einigung aussieht. Beim nächsten Termin brachte er unaufgefordert einen entsprechenden Vertrag mit. Da wir den nicht beauftragt hatten, haben wir ihn auch nicht genutzt und mussten ihn auch nicht bezahlen. Das geht aber nur, wenn man nicht zerstritten auseinander geht und noch das Vertrauen in eine einvernehmliche Regelung möglich ist.

    Etwas, was von Amts wegen geregelt wird, ist der Versorgungsausgleich. Da muss man sich dann bei der Rentenversicherung alle Zeiten bestätigen lassen und die Rentenpunkte werden dann 1 zu 1 aufgeteilt. Das ist recht aufwendig, da zum Beispiel Ausbildungszeiten nachgewiesen werden müssen. Deshalb mein Tipp: Bewahrt solche Unterlagen immer gut auf, auch wenn Ihr noch jung seid. Beim späteren Rentenantrag ist es dann viel einfacher, weil der Rentenversicherung schon alle Daten vorliegen.

    Wenn die Scheidung sofort rechtskräftig werden soll, brauchen doch beide Parteien eine eigene anwaltliche Vertretung. In der Praxis schaut man dann auf dem Flur im Amtsgericht, ob gerade ein:e Anwält:in dort rumläuft oder -sitzt, der:die für die Rechtskraft die Vertretung übernimmt. Bei uns war niemand da und so mussten wir noch 6 Wochen warten.   

     

     

    Exkurs: Kurt Tucholsky – Mieter und Vermieter

    Kurt Tucholsky beschreibt hier die Reaktion eines Mannes, der sowohl Mieter (einer Wohnung) als auch Vermieter (einer anderen) ist. Er bekommt zwei Briefe: Als Mieter fordert er mit Inbrunst die Reparatur der kaputten Rohre von seinem Vermieter ein, während er als Vermieter das gleiche auch mit Inbrunst ablehnt, weil sein Mieter so viel badet und für die kaputten Rohre verantwortlich ist.

    Eine köstliche Geschichte über unterschiedliche Interessen…

    Der Mietstreit

    Ich habe die meiste Zeit meines Lebens zur Miete gewohnt, aber es kam nur einmal zu einem wirklichen Konflikt mit dem Vermieter. Wir wohnten in einem umgebauten ehemaligen Polizeigebäude im obersten Stock. Um genau zu sein, in den beiden obersten Stockwerken, denn es war eine Maisonettwohnung. Eine Wendeltreppe führte hoch unters Dach und unser Schlafzimmer war komplett unter der Dachschräge. Das Stockwerk darunter hatte zur Hälfte Schrägen.

    Obwohl der Vermieter eigentlich selbst zugegen war, wurde die Vermietung über einen Makler abgewickelt. Das hatte schon ein ‚Geschmäckle‘, da dann eine heftige Maklergebühr fällig wurde. Aber bei einer angespannten Wohnungsmarktlage hatten wir keine Wahl.

    Auch die genannten Quadratmeter, die für Miete und Heizkosten maßgeblich waren, haben wir nicht in Frage gestellt. Ich hatte irgendwann mal grob nachgemessen, aber dass der Bereich der Dachschrägen anders beurteilt wird, war mir nicht bewusst.

    Ein BGH-Urteil 2004 kam uns dann zu Hilfe. Es besagte, dass eine Abweichung von 10% der Wohnfläche zwischen Mietvertrag und tatsächlicher Wohnfläche einen Mangel darstellt. Da ich rechtlich schon immer interessiert war, las ich über dieses Urteil und habe die Wohnung genauer vermessen. Da der Bereich der Dachschrägen nur mit 50% bewertet wird, kamen wir auf eine Abweichung von ca. 12 %.

    Wir haben dann eine Mietminderung geltend gemacht. Der Vermieter beauftragte ein Ingenieurbüro, um die Wohnung zu vermessen. Dieses kam dann zum Ergebnis: Abweichung 9,5%. Die Differenz der Berechnung lag an den beiden kleinen Balkonen. Der Vermieter bewertete die Fläche mit 50%, wir mit 25%. Ich fand dann ein Urteil zu dieser Bewertung. Eine Balkonfläche zu einer Parklandschaft kann mit 50% bewertet werden. Ich schrieb dann, unter Berufung auf dieses Urteil, der Anwältin des Vermieters: „Unser Balkon blickt nicht in Richtung einer Parklandschaft, sondern auf einen Parkplatz.“

    Damit hatten wir anscheinend gewonnen. Es kam nicht zu einem Prozess, der Vermieter nahm einen Vergleichsvorschlag von uns an. Da wir bald ausziehen wollten haben wir uns bei den Schönheitsreparaturen und beim Auszug auf unsere Vorstellungen geeinigt.

    Die ‚willkürlich‘ gezogen Grenze von 10% Abweichung zeigt, dass manchmal Glück oder auch Pech für Recht und Gerechtigkeit maßgeblich ist.

     

    Der Bauprozess

    Jeder, der in seinem Leben gebaut hat, weiß, dass es da zu rechtlichen Problemen kommen kann. Oft geht man da mit einer gewissen Naivität hinein, in der Hoffnung, dass alles gut geht.

    Wir haben als Teil einer Baugruppe ein 12 Familienhaus gebaut. Plötzlich beschäftigt man sich mit Themen wie Finanzierungen, Bauverträgen, Abnahmen, Mängeln, Teilungserklärungen und Wohnungseigentümer Gemeinschaft (WEG). Alles Themen, die konfliktbeladen sein können.

    Bei uns spielten insbesondere Estrichschäden (im Gemeinschaftseigentum der WEG) als Mängel eine Rolle, die dann zu Einbehalten der letzten Rate der Baukosten führte. Der Bauunternehmer hatte aufgehört die Mängel zu beseitigen.

    Eingezogen sind wir in die Wohnung 2005, die Klage des Bauunternehmers für die Restzahlung kam dann Ende 2008. Das Verfahren zog sich über die Jahre und endete mit einem Vergleich 2022. Die Beseitigung und die Kosten für die Mängelbeseitigung sind bis heute noch nicht endgültig geregelt. Auch das ist Teil unseres Rechtssystems. 

     

    Der Betriebsrat

    Als Betriebsrat lernt man sehr schnell, dass fast die gesamte Arbeit des Betriebsrats rechtlich geprägt ist. Eigentlich kandidiert man für dieses Amt, um die Interessen der Kolleg:innen zu vertreten, merkt aber bald, dass sich fast alles im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) abspielt. Die ersten Schulungen heißen dann auch BetrVG I, BetrVG II und BetrVG III.

    Als unser Software-Unternehmen noch kleiner war, waren wir als Betriebsräte eher hemdsärmelig und als Amateure unterwegs. Mit dem Wachstum des Unternehmens wuchsen auch die Konfliktsituationen und wir wurden professioneller, das heißt vor allem auch rechtlich versierter.     

    Nach einer Verschmelzung mit dem Mutterkonzern veränderte sich die Struktur unseres Betriebsrats und es waren auch einige Jurist:innen Mitglied des Betriebsrats. Das hob die Diskussion auf ein noch höheres juristisches Niveau! Da habe ich viel gelernt. Allerdings wurden innere, betriebsrätliche Konflikte auch immer mehr  juristisch ausgetragen. Der Höhepunkt war eine Wahlanfechtung, die die Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats auf eine harte Probe stellte. Vor dem Arbeitsgericht traf sich dann eine große Gruppe: Kläger, Arbeitgeberin, Betriebsrat, zwei Gewerkschaften und alle mit ihren Rechtsbeiständen.

    Die Verrechtlichung der Betriebsratsarbeit war eine große Bürde. Sie hat mich aber nicht davon abhalten können, mein eigentliches Anliegen aus den Augen zu verlieren: Beratung und Interessensvertretung der Kolleg:innen und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen.

    Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen: Auch diese finden im stark rechtlich geprägten Raum statt. Betriebsvereinbarungen und (Haus-) Tarifverträge als neue rechtliche Normen zu verhandeln und abzuschließen, waren für mich sehr sinnstiftend und befriedigend.

    Bei Kündigungen oder anderen arbeitsrechtlichen Problemen war ich häufig als emotionaler Beistand von Kolleg:innen bei Personalgesprächen oder auch am Arbeitsgericht dabei. Hier helfen zu können war für mich auch immer eine große Motivation.

     

    Die Gehaltsklage 

    Bei Betriebsratsgehältern denkt man immer sofort an VW. Seit Jahren gehen die Gehälter der VW-Betriebsräte durch die Medien und die Gerichtssäle. Oft wird das genutzt, um Betriebsräte als bestechlich und gierig zu diffamieren.

    Die Praxis in den Unternehmen ist eine andere: Wenn jemand für den Betriebsrat kandidiert, ist das oft das Ende der Karriere. Nach dem BetrVG darf man wegen der Betriebsratsarbeit weder bevorzugt noch benachteiligt werden.

    In unserem Unternehmen gab es (meist geringe) allgemeine Tariferhöhungen und  noch individuelle Erhöhungen (meist für wenige). Das wurde so auch im Haustarifvertrag vereinbart. Interessanterweise waren Betriebsräte von der individuellen Erhöhung meist ausgenommen, sprich sie wurden benachteiligt.

    Da ich als freigestellter Betriebsrat ganz aus dem Prozess der individuellen Erhöhung rausgefallen war (die Leistung eines Betriebsrats ist vom Arbeitgeber nicht wirklich beurteilbar), war das für mich nach sechs Jahren ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Gegen das Unternehmen zu klagen, in dem man noch arbeitet, tun nicht viele und es ist dann auch auf der Beziehungsebene problematisch. Andererseits, und so habe ich auch die Kolleg:innen immer beraten, muss man für seine Rechte auch einstehen. So hatte ich mich nach reiflicher Überlegung und nach gescheiterten Gesprächen entschlossen, gegen diese Benachteiligung vorzugehen und habe eine Klage eingereicht.

    Um eine Eskalation auf der Beziehungsebene zu vermeiden, habe ich das Güterichterverfahren vorgeschlagen:

    „Mit diesem sollen Konflikte, die bereits vor Gericht anhängig sind, durch eine von den Prozessparteien selbst erarbeitete Lösung statt durch ein gerichtliches Urteil beigelegt werden können.“

    Darauf haben wir uns dann geeinigt und eine Arbeitsrichterin hat die Moderation übernommen. Das Ergebnis war ein Vergleich, mit dem beide Seiten leben konnten. Die zukünftigen individuellen Erhöhungen wurden auf der Basis einer Vergleichsgruppe, die vor meiner Freistellung als Betriebsrat eine vergleichbare Tätigkeit hatten, festgelegt. Diese Regelung wurde dann auch für andere Betriebsräte übernommen.


    Ehrenamtlicher Arbeitsrichter 

    Die deutschen Arbeitsgerichte haben neben dem:r Berufsrichter:in immer auch Ehrenamtliche Richter:innen, wenn es zu einer Verhandlung am Arbeitsgericht kommt. Vorgeschaltet ist immer das Güteverfahren, das der:die Berufsrichter:in allein durchführt. Die ehrenamtlichen Richter:innen werden paritätisch von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften benannt, die Zusammenarbeit war bei mir immer sehr gut.

    Als ehrenamtliche:r Richter:in bist Du natürlich nicht Interessensvertretung, sondern auch dem Gesetz verpflichtet. Du kannst aber Deine Erfahrungen aus Deiner betrieblichen Praxis gut in die Verfahren einbringen. Und du bist ein vollwertiger Richter. Bei einem strittigen Urteil wird auch abgestimmt.

    Seit 2013 bin ich jetzt als ehrenamtlicher Richter tätig und da ich jetzt in Rente bin, läuft die Benennung zum 30.6.23 aus. Meistens gab es ca. 3 Verhandlungstage in einem Jahr. Für mich waren die Verfahren immer eine Horizonterweiterung: die Art der Konflikte, der Umgang miteinander, die möglichen arbeitsrechtlichen Lösungen. Diese Erfahrungen relativieren die eigene Sicht und wenn man dazu beigetragen hat, dass ein Ausgleich zwischen den Parteien stattfand und eine Lösung erreicht wurde, mit der beide Seiten leben können, war es oft eine erfolgreiche Verhandlung.

    Noch ein Tipp für alle, die mal das ‚Vergnügen‘ haben, bei einem Gerichtsprozess dabei zu sein. Das Sprichwort „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" wird nicht so gern gehört. Es kann zwar sein, dass Recht und Gerechtigkeit schwer in Einklang zu bekommen ist, aber willkürlich geht es bei unseren Gerichten nicht zu. Recht und Gesetz ist immer der Maßstab. Und vielleicht spürt man sogar etwas von Gottes Hand wie ich in einem Kündigungsprozess zwischen einem Rabbi und seiner Gemeinde. Nachdem ein Vergleich geschlossen worden war, kam der Rabbi und segnete uns Richter:innen.

      

    Und jetzt?

    Was ist ein gutes Rechtssystem für mich? Ein Rechtssystem, das Dir zumindest eine relative Rechtssicherheit gibt, das dem Ausgleich der Interessen gerecht wird, das einvernehmliche, selbstbestimmte Lösungen ermöglicht. Wichtige Elemente sind für mich Mediation und Vergleich. Gerade habe ich mich für das Schöffenamt am Strafgericht beworben…

     

     

    Freitag, 6. Januar 2023

    Wohnungen und Wohnorte

    Eine Geschichte, die ich gerne erzähle: Als ich in unsere jetzige Wohnung im Vauban einzog, zählte ich, in wie vielen Wohnungen ich zu Hause war und wie oft ich bisher umgezogen war. Ich kam auf 20 Wohnungen, in denen ich zuhause war; also bin ich bis dahin durchschnittlich alle 2,5 Jahre umgezogen. Mein Fazit: Aus dieser Wohnung ziehe ich mit den Füßen zuerst wieder aus. Man wird sehen…

    Mit dem Wohnort und der Wohnung sind Begriffe wie Heimat und zuhause verbunden. Der ein oder andere kann das sicherlich immer klar für sich beantworten, aber für mich ist das eher ambivalent. Zuhause ist noch einfach, für den ideologisch belasteten Begriff Heimat, eher schwierig.

    Doch fangen wir chronologisch an.

    Wiesthal (1955-1956)

    Zu Google Maps: Wiesthal

    Geboren wurde ich im von „Bayern besetzten Teil Frankens“ in Aschaffenburg. Meine Eltern waren mit meinen drei älteren Geschwister 1953 nach Wiesthal im Spessart gezogen und so wurde ich der erste und erstmal Bayer der Familie. Naturgemäß habe ich  an Wiesthal  keine Erinnerung. Wir lebt in einer Holzbaracke am Werksgelände des Sägewerks, das mein Vater dort gegründet hatte.








    Sägewerk Wiesthal (privat)


    Mein Bruder B. erinnert sich an die große Holzterasse auf der im Sommer gespielt und gelebt wurde. Er und meine Schwester B. wurden in Wiesthal noch eingeschult. Jahrzehnte später erinnerten wir bei einem gemeinsamen Besuch Wiesthals mit einem Foto vor der Schule.








    Grundschule Wiesthal (privat) 

    Lohr am Main (1956-1964)

    Zu Google Maps: Lohr am Main, Tannenackerweg

    1956 zogen wir nach Lohr am Main in ein „großes“ Haus. In der Erinnerung war das Haus sehr groß. Bei späteren Besuchen wirkte es dann viel kleiner. Wahrscheinlich der Effekt einer optischen Täuschung, die mit der eigenen Größe zu hat.










    Haus am Tannenackerweg (privat)

    Was sind meine Erinnerungen?

    • Ein großer Hof zum Spielen 
    • Der Dackel Ast
    • In der Küche singen mit meiner Tante Erna
    • Ein Garten mit Erdbeeren, Stachelbeeren, Mirabellen
    • Die Straße noch nicht asphaltiert, gegenüber Wiesen, auf denen wir Sauerampfer gegessen haben (Heute ist die Straße beidseitig bebaut.)
    • Spielende „Banden“, die durch den Wald zogen
    • Einschulung erst ohne und dann doch mit einer Schultüte












    Erster Schultag auf der Terrasse in Lohr (privat)


    Eine behütete Kindheit ist mit diesem Ort verknüpft.

     

    Marl-Sinsen, Gräwenkolkstr. 64 (1964 – 1965)

     

    Zu Google Maps: Marl-Sinsen, Gräwenkolkstraße

    Unser Vater starb 1964 und meine Mutter zog mit uns, inzwischen fünf Geschwistern, nach Marl-Sinsen in ihr Elternhaus zurück nach Westfalen bzw. ins Ruhrgebiet. Marl ist von beidem geprägt, einerseits bäuerlich, westfälisch und andererseits urban. Der Schmelztiegel Ruhrgebiet hat seine eigene Charakteristik.  

    Wir wohnten in einem Haus mit den Großeltern zusammen. Da der Platz beengt war, baute meine Mutter bald auf dem Nachbargrundstück ein Haus für unsere große Familie.


    Marl-Sinsen, Gräwenkolkstr. 60 (1965 – 1975) (bzw. 2019)


    Mein Elternhaus! Auch lange über die eigentliche Zeit hinaus, in der ich dort wohnte, war es immer wieder Anlaufpunkt, Fluchtpunkt, Treffpunkt. Erst als meine Mutter nicht mehr dort wohnen konnte und dann in Berlin lebte, verlor das Haus diesen Status.

     

    In Marl, bzw. auch Recklinghausen durch meinen Schulbesuch auf dem Petrinum, unterbrochen von zwei Internatsaufenthalten, habe ich meine Jugend verbracht, eine wichtige Zeit der Sozialisation. Meinen fränkischen Akzent hatte ich in großer Eile abgelegt („Kommst Du aus Bayern?“) Marl wurde meine zweite Heimat.







    Elternhaus in Marl-Sinsen (privat)

     

    Maria Veen (1966 – 1968)


    Zu Google Maps: Maria Veen, Internat der Marianhiller Missionare

    Wie schon gesagt, unterbrachen zwei Internatsaufenthalte meine Zeit in Marl-Sinsen. Mein Schuljahre 5-7  (damals Sexta bis Quarta), war ich auf dem Internat der Marianhiller Missionare in Maria Veen.

    Der ersten Eindrücke:

    • Ein Obdachloser, der in der Nähe der Pforte saß, sagte als man mich hinbrachte: „Kiek mal, da wird wieder einer katholisch gemacht.“
    • Am ersten Abend, im Speisesaal war schön eingedeckt mit einem Nachtisch. Der Nachtisch war ein trockener Kokoskeks. Noch heute kann ich den krümeligen Geschmack nachempfinden.
    • Der Schlafsaal mit 10 anderen Kindern, die langen Gänge, deren Fenster in guter Trappistentradition nur den Blick nach oben ermöglichten.
    • Die Patres und Fratres

    Nach 2,5 Jahren (Kurzschuljahre) kam man gemeinsam zu der Erkenntnis, dass ich nicht für so ein Haus gemacht bin (Wie wahr!). Und ich wechselte auf das Gymnasium Petrinum in Recklinghausen und wohnte wieder zu Hause.

     

    Coesfeld 1972 – 1973

    Zu Google Maps: Coesfeld, Bischöfliches Internat St. Pius

    Noch eine westfälische Station. Im Internat allerding nur ein Jahr, danach bin ich als Externer weiter in Coesfeld zur Schule gegangen. Internatsleben ist nichts für mich, das hat sich da nochmals bestätigt. Neben dem religiösen Leben war auch das Gemeinschaftsleben in großen Gruppen eher eine Belastung. Obwohl manche meinten, ich hätte Ähnlichkeit mit Jesus:












    Im zweiten Internat (privat)


    Mit meinen Mitschülern vom Pius verbinden mich noch heute regelmäßige Treffen. Ich hoffe für 2025  auf ein größeres Treffen zum 50-jährigen Abitur.

     

    Marl-Lenkerbeck, Bahnhofstraße (1975)

    Zu Google Maps: Marl-Lenkerbeck, Bahnhofstr. 69

    Noch vor dem Abitur dann die erste eigene Wohnung mit meinem Freund K. Zwei Zimmer, keine Küche, ein kleines Bad ein Stockwerk höher, Öl-Ofen mit einem Ölfass im Keller. Und die ersten Erfahrungen mit dem Mietrecht.

    Als Neumieter, so dachten wir, können wir uns alles so gestalten, wie wir das möchten. Das Bad strichen wir tiefblau, die neu und die Fensterrahmen grün, innen und außen. Von außen konnte man dann unsere Wohnung gut erkennen, was uns gefiel. Am nächsten Tag kam die Vermieterin und schimpfte mit uns: Das einheitliche Aussehen des Mietshauses hatte einen farbigen Fleck bekommen. Wir mussten das dann wieder korrigieren.

    Das Gefühl alles beim Einzug neu streichen zu müssen, ist tief in mir verankert. Die im deutschen Mietrecht verankerte Schönheitsreparatur beim Auszug fand ich emotional immer widersinnig.

     

    Marl-Sinsen, Bahnhofstraße (1976 - 1977)

    Zu Google Maps: Marl-Sinsen, Bahnhofstr. 140

    Nicht weit entfernt, sogar wieder etwas näher am Elternhaus, die erste gemeinsame Wohnung mit einer Freundin. In der Zeit machte ich meine Ausbildung zum Chemielaborant bei den CWH. Auch diese Wohnung war sehr speziell. Alle Räume, vom Eingang, über ein Wohnzimmer, über die Küche mit offener Dusche bis nach hinten durch zum Schlafzimmer waren Durchgangszimmer. Der Eingang ist heute zugemauert, wahrscheinlich wurde da kräftig umgebaut.

    Die Beziehung ging in die Brüche, meine Lehre habe ich abgebrochen und ich zog weiter.

     

    Recklinghausen Süd (1977)

    Zu Google Maps: Recklinghausen Süd

    Nur kurze Zeit zwischen Ausbildung und Beginn des Studiums kam ich bei einer Bekannten in Recklinghausen unter. Da ich in Recklinghausen jobbte, war das sehr praktisch. Aber wir wohnten nicht richtig zusammen, sahen uns nur selten. Aber ich hatte ein Bett und ein Dach über dem Kopf.

     

    Münster Gremmendorf (1977 – 1978)

    Zu Google Maps Münster Gremmendorf

    Im westfälischen Zentrum. Münster: Mittlere Großstadt, Studierendenstadt, Verwaltungsoberzentrum, Fahrradstadt, Bischofsstadt. Die Stadt hat eine ähnliche Struktur wie Freiburg, wo ich heute lebe. Ein sehr lebenswerter Ort.

    Im Josef-Suwelak-Weg hatte ich die erste Erfahrung mit einer Art WG. Der Vermieter hatte den Dachboden seines Einfamilienhauses ausgebaut und vermietete drei Zimmer an Student:innen. Der Unterschied zu einer richtigen WG: Er suchte die Mieter:innen aus. Deshalb war ich dann bald mit A. und K. auf der Suche nach einer richtigen WG-Wohnung.

    Beim Auszug lernte ich eine wichtige Funktion der Mietkaution kennen: Oft bekommt man sie nicht wieder, da noch irgendwelche Schönheitsreparaturen nötig seien. Nun denn, den Streit darum habe ich nicht geführt.


    Münster Gasselstiege (1978 – 1979) 

    Zu Google Maps: Münster Gasselstiege

    Der Vorteil an einer teuren Miete ist, dass man sich plötzlich vorstellen kann, auch in (noch) teureren Wohnungen zu leben. Geeignete Wohnungen zu finden war damals auch schon schwer. Unsere Dreier-WG fand einen Neubau mit Tiefgarage im Terrassenstil. Der Schnitt der Wohnung war zwar nicht WG-tauglich, aber wir fanden eine Lösung. Ich wohnte im größten Zimmer, das aber gleichzeitig Durchgangs-, Wohn- und Esszimmer war. Im Plan als ‚Wohnzimmer‘ ausgewiesen. K. hatte das ‚Eltern-Schlafzimmer‘ und A. das ‚Kinder-Zimmer‘. Dieses Kinderzimmer hatte (ungelogen) 6(!), in Worten sechs, Quadratmeter. Was sich der Architekt dabei gedacht hatte? Für A. passte sein Bett und ein kleiner Schreibtisch in das Zimmer.

    Noch eine Anekdote aus dieser Zeit: Der Hausmeister verdächtigte uns Mitglieder der RAF zu sein. Die Indizien: Unsere Post mit linken Zeitungen, die Tiefgarage und die Nähe zur nächsten Autobahn. Mein Fiat 126 stand tatsächlich immer als Fluchtfahrzeug bereit…


    Berlin Tempelhof (1979 – 1980) 

    Zu Google Maps: Tempelhof, Werderstraße

    Meine erste Station in West-Berlin. Es war nicht der gewünschte Bezirk, aber auch in Berlin war der Wohnungsmarkt schon schwer. Die Wohnungssuche startete immer freitags  22 Uhr am Verlagsgebäude der Morgenpost, um die Samstagsausgabe mit den Vermietungsanzeigen schon den Abend vorher zu kaufen.

    Ich landete in einer zweier WG mit I. aus F. Die Wohnung war bezahlbar, ich habe mein Zimmer natürlich  erstmal gestrichen (Ich glaube ein dunkles Beige). Da I. schon vorher da wohnte und einen Mitbewohner suchte, war es mehr seine Wohnung und sein Mietvertrag. I. war, was die Ordnung betraf, sehr pedantisch (seine Mutter war früher so unordentlich, deshalb war Ordnung für ihn sehr wichtig), der Badezimmerzugang mit einer Ampel geregelt.

    Es war ok zusammen zu wohnen, aber ich war trotzdem bald wieder auf der Suche.

     

    Berlin Kreuzberg, Gneisenaustraße (1980 - 1982)

    Zu Google Maps: Kreuzberg, Gneisenaustraße

    Kreuzberg 61 war damals ein Zentrum der Hausbesetzer Szene. Einmal kam ich aus der nichtsahnend aus der Wohnung in eine Demo und musste mich in Habakuks Gartenlaube vor einer auf mich zu rennenden Polizeieinheit retten. Der Wirt schloss die Kneipe ab, aber die Polizei brach die Tür auf. Sie suchten jemanden in einer roten Hose, ich hatte trotz meiner roten Hose Glück, dass sie mich nicht mitgenommen haben.

    Die Wohnung war eine WG. Ich hatte die ‚Kutscherstube‘ gemietet, die an eine befreundete WG grenzte. Es gab noch einen übertapezierten Durchgang zur WG, den wir wieder öffneten. Die Wohnung war früher wohl hochherrschaftlich: im Hochparterre, mit einer (Haus)-Mädchenkammer über dem Badezimmer, Klingelanlage in der Küche, um die Hausbediensteten zu rufen, einem eigenen Eingang für die Dienerschaft, ‚Berliner Zimmer‘ mit einem verdeckten Wand Safe, Stuck an Decke. Unter der Kutscherstube konnten die Pferde in den Innenhof geführt werden. Alles in allem: So richtig Alt-Berlin in modernen Zeiten.

    Die Miete der Kutscherstube war 50 DM, das war wirklich günstig. Da ich mich mit der WG zerstritten habe, wachte ich eines morgens auf, und der Durchgang zur WG war mit einem Schrank zugestellt. Ich war umgezogen, ohne die Wohnung gewechselt zu haben. Die Toilette war dann eine halbe Treppe höher, ein Außenklo. Auch Alt-Berlin in modernen Zeiten.



     





    In der Hasenheide; ca. 1982 (privat)


    Berlin Kreuzberg, Baerwaldstraße (1982 - 1983) 

    Zu Google Maps: Kreuzberg, Baerwaldstraße

    Ich zog in ein frisch renoviertes großes Zimmer in eine 4er WG. (Ich sollte dem Vormieter dann beim Renovieren seiner neuen Wohnung helfen). Davon waren zwei Sannyasins. Da ich zwischen meinen Indienreisen 1980 und 1982 war, hatten wir gemeinsame Themen, obwohl ich Osho nicht für mich interessant fand. Die Lage war toll, in der Nähe des Landwehrkanals und Kreuzberg 61 war immer mein Lieblingsstadtteil.

    Da ich Mitte 1982 bis Anfang 1983 wieder auf Indien-/ Asienreise war, hatte ich mein Zimmer an einen ‚Freund‘ untervermietet. Ich kam dann im Januar 1983 wieder ‚nach Hause‘, die Temperatur war – 6° C, ich hatte keine festen Schuhe und nur Sommerkleidung. Ich kam zurück und man eröffnete mir, dass ich ausziehen müsste, da die WG mit meinem Freund besser funktionierte. Meine Klamotten könne ich mir selbst suchen, die hätten sie irgendwo hin geräumt. Mein Freund hatte auch nicht gemerkt, dass die Miete nicht auf mein Konto überwiesen worden ist, so dass wegen der gescheiterten Mietabbuchungen von meinem Konto mein Sparkassenkonto gesperrt wurde und ich wurde der Schufa gemeldet.

    Nach diesem Kultur-, Klima-, Finanz- und Wohnungsschock flüchtete ich erstmal wieder in mein Elternhaus. Da wurde ich geistig, moralisch und körperlich wieder aufgepäppelt.

     

    Berlin Neukölln, Herrfurthstraße (1983 – 1986)

    Zu Google Maps: Neukölln, Herrfurthstraße

    Die Ein-Zimmer-Wohnung in der Herrfurthstraße bekam ich durch einen glücklichen Zufall. Es gab eine Anzeige, dass eine Frau eine/n Nachmieter:in sucht und zur Besichtigung waren 10 Personen da, die die Wohnung gerne hätten. Die Vormieterin wusste jetzt nicht, wie sie jemanden auswählen sollte und einer begann zu erzählen, warum er unbedingt diese Wohnung braucht. Ich unterbrach und sagte, dass wahrscheinlich jeder von uns gute Gründe habe und dass es doch dann einfacher sei zu losen. Alle waren damit einverstanden. Ich machte 10 kleine Zettel fertig und auf einem war ein (Gewinn-)Kreuz. Alle zogen einen Zettel und übrig blieb der Zettel mit Kreuz und ich bekam die Wohnung. Ich bin sicher, dass die anderen an einen Taschenspieler Trick von mir glaubten, aber ich war wirklich, wirklich ehrlich.

    Neukölln und speziell die Lage am Herrfurthplatz ist nicht mehr mit heute vergleichbar. Damals wurde der Flughafen Tempelhof noch von den USA genutzt und das soziale Leben des Stadtteils waren die Kindle Eckkneipen an jeder Ecke der Blocks. Es gab eine Kiezkneipe: Alkoven (später Syndikat). Heute gibt es viele Cafés und Geschäfte und der Flughafen ist Naherholungsgebiet. Die Veränderungen des Stadtteils kann man hier hautnah spüren.

    Die Wohnung hatte einen klassischen Kachelofen. Aus dem Keller musste man immer die Briketts nach oben in den 3. Stock schleppen und im Winter überlegte man schon genau, wann man ihn anheizte und wann nicht. Bei einem Kachelofen dauert es nämlich 5 bis 6 Stunden, bis das Zimmer dann wirklich warm wird. Und natürlich kannte ich auch alle Tricks, wie der Kachelofen über Nacht nicht ausgeht. Die Kachelöfen waren für den typischen Winterduft von Berlin verantwortlich.

    Ich bin dann auch noch mal im Haus einen Stock höher umgezogen. Diese Wohnung hatte eine eingebaute Dusche und einen Kohleofen. Einmal besuchte mich meine Mutter mit ihrem Mann, die bei mir übernachteten. Davon gibt es das geflügelte Familienwort, wie er sich von meiner Mutter abends verabschiedete: „ Gute Nacht Mutti, morgen früh sind wir beide tot.“ Er befürchtete eine Kohlenmonoxid Vergiftung, da der Ofen nicht vertrauenswürdig aussah.

     

    Berlin Schöneberg, Potsdamer Straße (1987 – 1992) 

    Zu Google Maps: Schöneberg, Potsdamerstr.

    Ja, wo fang ich an? Die Potsdamer Str.128 ist für mich eine besondere Wohnung mit großer Bedeutung. Deshalb am besten erstmal, wie uns diese Wohnung „zuflog“:

    Meine damalige Freundin war schwanger und die Einzimmerwohnung in der Herrfurthstraße war auf Dauer nicht für uns alle geeignet und der Wohnungsmarkt war wie immer angespannt. Viele Bemühungen waren bisher umsonst, aber wir hatten noch ca. 4 Monate Zeit bis zur Geburt. Eines Sonntags saßen wir in der Herrfurthstraße gemeinsam auf dem Bett und das Telefon klingelte. Ich sagte aus Spaß, und wer mich besser kennt weiß, dass ich solche Späße gerne mache: „Jetzt fliegt uns eine Wohnung zu.“ Am Telefon war dann tatsächlich ein Paar aus der Potsdamerstraße 128, das Nachmieter:innen suchte. Meine Freundin wollte es erst nicht glauben, aber ich hatte 2 Wochen vorher eine Such-Anzeige im TIP Berlin, allerdings ohne wirkliche Hoffnung, aufgegeben.

    Es war dann nicht ganz einfach. Für die Wohnung brauchte man einen Wohnberechtigungsschein für drei Personen und da unsere Tochter noch nicht geboren war und mangels Geburt auch noch nicht mit mir verwandt, forderte das Wohnungsamt eine Vaterschaftserklärung des Jugendamtes. Der entsprechende Standesbeamte beim Jugendamt klärt uns darüber auf, dass man eine Vaterschaft vor der Geburt nicht rechtskräftig anerkennen kann. Er sprang dann über seinen Schatten und gab uns eine, nicht rechtskräftige, Bescheinigung.

    Die Wohnung war von der neuen Heimat, die gerade für 1 DM an einen Bäckermeister verkauft worden war. Wir konnten es dann nicht lassen und haben bei der Bewerbung für die Wohnung auch 1 DM für die Wohnung geboten. Der Sachbearbeiter hatte zum Glück Humor und wir bekamen die Wohnung.

    Wer genau aufgepasst hat, hat eine kleine Unstimmigkeit bemerkt. Die Herrfurthstraße habe ich bis 1986 bewohnt, die Potsdamerstraße dann 1987. Ja es gab da keine Überschneidung der Jahre, da wir Sylvester umgezogen sind. Erst wurden wir von Freunden dafür kritisiert so einen Termin zu wählen, aber ich hatte bei keinem Umzog eine solche Unterstützung. Alle hatten Zeit und es hat toll geklappt. Deshalb mein Tipp: Wenn Ihr mal umziehen müsst, Sylvester ist ein toller Tag und Ihr könnt Euch das Umzugsunternehmen sparen.

    Also zogen wir in die Potsdamerstr. 128, Ecke Kurfürstenstraße. Eine lebendige Ecke mit zwei Gesichtern, einem Tagesgesicht mit quirligem Stadtleben und einem Nachtgesicht mit dem Treffen einer Junkie Szene und einem Straßenstrich. Und einer historischen Komponente, die in dem Buch von 1983 ‚Potsdamerstraße‘ (Benny Härlin / Michael Sontheimer) aufgearbeitet wurde. „Unser“ Haus wurde erst danach gebaut, aber in dem Buch wurde die Geschichte dieses Grundstücks vom märkischen Acker bis zum besetzten Hinterhaus der 80iger Jahre aufgearbeitet. Schön, wenn man so viel darüber erfährt.









    Potsdamer Straße (Amazon)

     Schräg gegenüber ist immer noch eine Gedenkstelle für den jungen Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay, „der im Zusammenhang mit einem von Innensenator Heinrich Lummer geplanten und durchgeführten Polizeieinsatz zur gleichzeitigen Räumung von acht besetzten Häusern in Berlin ums Leben kam.“ (Wikipedia)












    Gedenkstelle: Klaus-Jürgen Rattay (privat)

     Diese Wohnung ist auch der Geburtsort meiner ältesten Tochter L. Deshalb fahre ich heute, wenn ich mal in Berlin bin, noch gerne an dem Haus vorbei und schaue, wie sich die diese Ecke entwickelt. L. , die wieder in Berlin wohnt, hat in ihrer Familie ein geflügeltes Wort, wenn sie unterwegs in Berlin sind: „Hier habe ich mal gewohnt.“ „Hier habe ich mal gearbeitet.“ „Hier wurde ich geboren.“ Ein Ritual, das ich gut nachvollziehen kann.

    Die Wohnung haben wir dann weitergegeben an eine Cousine 2. Grades von mir, die auch ihre Tochter C. in dieser Wohnung durch eine Hausgeburt bekam. Die beiden dort geborenen Kinder haben die gleichen Ururgroßeltern aus dem Westfälischen. Ob sie von dieser doppelten Gemeinsamkeit wissen?









    Potsdamer Straße 128 heute (privat)

    Die Potsdamerstraße war meine letzte Station in Berlin. Die Stadt hatte sich inzwischen von West-Berlin in Berlin weiterentwickelt und ich war plötzlich in einer anderen Stadt, ohne die Wohnung gewechselt zu haben. Wir entschieden uns von dem sozialen Brennpunkt Berlin in die „heile Welt“ im badischen Freiburg zu ziehen.

       

    Merzhausen (1992 – 1999)

     Zu Google Maps: Merzhausen

    Aus Berlin ins beschauliche Merzhausen. Das Leben im Badischen ist schon etwas langsamer als in Berlin. Ob das an der Nähe zur Schweiz liegt? Die Umstellung auf die andere Geschwindigkeit, z.B. Beispiel im Supermarkt, wo trotz langer Schlange an der Kasse gern mal ein Schwätzchen gehalten wird, und auch auf den badischen Dialekt, hat schon ein bisschen gedauert, gell?

     

    Freiburg St. Georgen, Bergiselstraße (1999 – 2000)

    Zu Google Maps: St. Georgen, Bergiselstraße

    Diese Wohnung ist bei mir vor allem mit drei Ereignissen verknüpft:

    • Die totale Sonnenfinsternis, die vom Balkon aus betrachtet, eine absolute Stille im Dämmerlicht brachte. Kein Verkehr war zu hören und auch die Vögel waren still.
    • Der Wintersturm ‚Lothar‘, der Bäume entwurzelte und mich ‚heldenhaft‘ mit den Mülltonnen kämpfen ließ.
    • Der Jahrtausendwechsel. Als Jugendlicher war das Jahr 2000 unendlich weit weg, heute ist es schon noch nicht so lange vorbei. Die Zeit hat anscheinend doch unterschiedliche Geschwindigkeiten.

     

    Freiburg Haslach, Uferstraße (2000 – 2005)

    Zu Google Maps: Haslach, Uferstraße

    Das Haus in der Uferstraße war eine frühere Polizeistation, die zu Wohnungen umgebaut wurde und die Wohnung war eine Maisonettewohnung unter dem Dach mit vielen Schrägen. Dort lernte ich auch, in einem kleineren Rechtsstreit mit dem Vermieter,  die Bedeutung der Schrägen und der Balkone für die Wohnraumbemessung kennen. Dafür ist es auch wichtig, ob man vom Balkon zu einer Parklandschaft oder auf einem Parkplatz blickt.

    Jahre später zog meine Tochter Z., die ihre ersten 4 Jahre in dieser Wohnung lebte, zufällig wieder in die gleiche Wohnung in eine WG.

     

    Freiburg Vauban, Astrid-Lindgren-Straße (2005 – heute)

    Zu Google Maps: Vauban, Astrid-Lindgren-Straße

    Das Haus bzw. die Wohnung im Vauban haben wir zusammen mit einer Baugruppe mit insgesamt 12 Parteien gebaut. Auch eine neue Erfahrung mit vielen Gruppensitzungen, Finanzierungsfragen und Grundsatzentscheidungen. Ich lernte Bauverträge und Teilungsverträge, Förderungsmöglichkeiten wie Baukindergeld, WEG (Wohnungseigentümergemeinschaft) und Hausverwaltung kennen. Und wie fast immer gibt es zwei Seiten der Medaille: Die unangenehmste Seite war ein 15(!) Jahre langer Rechtsstreit über Baumängel. Die beste Seite: So ein Bauvorhaben ist eine langfristige Entscheidung, bei der man anfangs das Risiko nicht abschätzen kann und für mich war es, jetzt im Rückblick und im Hinblick auf den Immobilienmarkt, eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

    Der Stadtteil Vauban ist ein Modellstadtteil, entstanden auf dem Gelände einer ehemaligen, zuletzt von Frankreich genutzten Kaserne. Verkehrsarm, kinderfreundlich, ökologisch, urban, mit Infrastruktur wie Läden, Straßenbahn, Kindergärten und Schule. Bei der Planung des Stadtteils wurden künftige Bewohner:innen nicht nur einbezogen, sondern sie waren selbst initiativ und aktiv beteiligt.










    Blick übers Vauban (privat)

    Das Leben im Vauban hat, insbesondere mit Kindern, eine so hohe Lebensqualität, dass ich mal in den Raum warf: ‚Das ist wie Kommunismus!‘. Mein Schwiegervater erwiderte: ‚Ah, Kommunismus ist da, wo es Dir gefällt!‘.

    Wie Ihr seht, wohne und lebe ich hier sehr gerne und habe tatsächlich keine Ambitionen nochmals umzuziehen. Ob ich tatsächlich ‚mit den Füßen zuerst…‘ aus dieser Wohnung herausgehen werde, wird die Zukunft zeigen.




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    Donnerstag, 8. Dezember 2022

    Berufe und Berufungen




     

    Heute geht es um alles, womit ich Geld bzw. meinen Lebensunterhalt verdient habe. Ein beruflicher Lebenslauf, nicht zur Bewerbung, eher ein Rückblick. Viele unterschiedliche Stationen, aber auch sich ergänzende, zusammenpassende Zeiten.

    Als ich jung war, gab es ein geflügeltes Wort: Gehe zur Post, da hast Du einen sicheren Arbeitsplatz für Dein ganzes Arbeitsleben. Wie man sich doch täuschen konnte! Aber ich gehörte damals (noch) nicht zu der Generation Sicherheit und fand es unvorstellbar, ein Leben lang das gleiche zu Arbeiten. Dass ich letztendlich sogar 25 Jahre beim gleichen Arbeitgeber „geschafft hab“: Dazu später.


    Minigolfplatz (1970)

    In Recklinghausen am Mollbeck Schwimmbad war mein erster „Arbeitsplatz“. Diesen Platz gibt es noch heute.

    Geld habe ich dort nicht verdient. Aber für das Rasenmähen durften wir umsonst spielen. Vielleicht wurden wir ein bisschen ausgenutzt, aber es war ein damals vorteilhafter Naturaltausch: Dienstleistung gegen Dienstleistung.



    Schwellenwerk (1975)

    Schwellen mit Steigeisen
    Foto: Erik Strandberg

    Nach dem Abitur arbeitete ich im Holzwerk meines Onkels, um eine Reise nach Portugal zu finanzieren. Meine Aufgabe war es (mit den anderen Arbeitern zusammen) schwere Eisenplatten auf imprägnierte Schwellen zu montieren, auf denen dann später die Schienen befestigt werden. Das hieß morgens früh aufstehen und war für mich, eher schmächtigen Jungen, harte Arbeit. Morgens konnte ich die Finger nicht bewegen und musste sie erst unter laufendem Wasser wieder gangbar machen. Aber die vier Wochen habe ich durchgehalten!  Noch heute sehe ich mir gerne auf Bahnhöfen die Schwellen und schau nach den sogenannten Steigeisen.

     

     

    Chemielaborant (1975 – 1976)

    Bei den Chemischen Werken Hüls (inzwischen Evonik) hatte ich eine Lehre (oder hieß es schon Ausbildung) begonnen. Die Ausbildung war wahrscheinlich gut, aber für mich extrem langweilig und auch gefährlich. Die Sicherheitsbestimmungen waren eher lasch, Arbeit mit Asbestbändern an der Tagesordnung. Gespült wurde mit Lösungsmitteln, Quecksilber, das auf den Boden gefallen war, eher zusammengefegt als fachgerecht entsorgt.

    Ich hatte einen Kollegen, so ca. Ende 50. Der kochte regelmäßig mit allen möglichen Lösungsmitteln. Der wusste genau, wie viele Tage es noch bis zur Rente waren.  Doch eines Tages kam er nicht mehr und starb bald darauf.

    Ich konnte mir nicht vorstellen auf Dauer im Labor zu arbeiten. Ton Steine Scherben (Es ist Feierabend und die Arbeit ist vorbei…) halfen mir bei der Entscheidung: Die Lehre habe ich abgebrochen. Keiner fand das richtig gut (außer mir), aber das war so…

    Hochhaus Evonik
     (früher Chemische Werke Hüls)

    Foto: Nati Sythen










     

    Parteiarbeiter (1977)

    Damals war ich, ich gestehe, Kommunist. DKP-Kommunist. Meine Genossen fanden es nicht gut, dass ich nicht mehr beim Proletariat der Chemischen Werke Hüls arbeitete, trotzdem bekam ich für die Übergangszeit bis zum Beginn meines Politikstudiums (in Münster) einen Job als Parteiarbeiter. Wir verkauften billige Eier (gegen die Inflation), machten Infostände, bereiteten das UZ-Pressefest in Recklinghausen vor.

    Im Mittelpunkt eine selbstentdeckte Fähigkeit von mir: Ich kann sehr gut organisieren – strukturiert und im Team. Von der Bezahlung ein Minijob, vom Umfang ein Maxijob.  Aber das war in Ordnung, das wollte ich so.




    Dass es die DKP in Recklinghausen heute noch gibt, hat mich dann doch überrascht.

     

    Student der Politikwissenschaft (1977 -1985)

    Ich habe lange überlegt, ob ich mein Studium in Münster und Berlin mit aufnehmen soll, da ich nie direkt als Politikwissenschaftler gearbeitet habe. Aber meine Betriebsratstätigkeit viele Jahre später führte dann doch noch dazu und die Zeit war auch für mich persönlich sehr wichtig. In diese Zeit fallen meine drei Reisen nach Indien (und andere südostasiatische Länder) und meine Diplomarbeit hatte auch passend den Punjab-Konflikt als Thema. Dass das Studium nicht ganz zielgerichtet war, sieht man an der Dauer, aber irgendwann wollte ich den Status als Studenten loswerden und beschloss das Studium nach 17 Semestern abzuschließen.

    Mein Dank gilt immer noch meinem Bruder Uli, der mich finanziell in der Zeit unterstützte und meinem Freund Henry, mit dessen Hilfe ich die wahrscheinlich die erste Diplomarbeit am OSI (Otto-Suhr-Institut) abgegeben habe, die mit einem Textverarbeitungssystem geschrieben wurde.

    Otto-Suhr-Institut, Berlin
    Foto: torinbert








    Meinen Plan über die ‚Ethnisch-religiösen Konflikte und die Auswirkungen auf die Kommunalpolitik der Stadt Calcutta‘ mit Hilfe des DAAD zu promovieren, habe ich nach einer Vorbereitungsreise aufgegeben. Die Vorstellung ein Jahr in Calcutta und in diesem mächtigen, widersprüchlichen Land Indien zu forschen und zu leben, erschien mir emotional nicht mehr realistisch. Vielleicht habe ich aber durch diesen Plan meinen Studien- und Schachfreund Gerd dazu geführt, genauso einen Weg zu gehen. 

     

    Bauarbeiter (1979)

    Ein kurzer, aber harter Job. Inzwischen schon in Berlin (Berlin wird noch ein eigener Blogbeitrag) arbeiteten wir für einen Bauunternehmer, der im Wedding alte Berliner (Hinter)-Häuser kaufte und modernisierte.  Da wurden vor allem Wände mit dem Vorschlaghammer eingeschlagen, um die Zimmer oder Wohneinheiten größer zu machen und der Schutt wurde mit Rutschen nach unten in die Container geschüttet. Er bezahlte gut (15 DM die Stunde), bar auf die Hand. Das lohnte sich für beide Seiten.

    Hinterhaus
    Foto: Horst Sturm - Bundesarchiv











    Taxifahrer (1981-1992)

    Der klassische Weg des Politikwissenschaftlers. Aber fangen wir vorne an: Erstmal braucht man einen P-Schein (Personenbeförderungsschein), und dafür musste man eine Ortskenntnis Prüfung bestehen. (Ich frage mich, wie das heute in Zeiten von Navis ist.) Als Neubürger in Berlin kannte ich mich nicht aus und musste lernen. Das Gute in der Mauerstadt: Ich musste nur die halbe Stadt lernen und malte den Mauerverlauf dick und fett auf dem Stadtplan ein. Meine Prüfungsfragen „Fahren Sie vom Rot Kreuz Krankenhaus zum Bahnhof Zoo und nennen Sie alle Seitenstraßen des Ku-Damms“, kenn ich noch heute. Und der Mauerverlauf ist auch noch präsent, auch wenn er sich an manchen Stellen verwaschen hat.

    Mein früherer Klassenkamerad Michael hat gerade in seinem lesenswerten Monatsblog eine „Taxifahrer Geschichte“ (unterwegs zum BER) nacherzählt. Evtl. nehme ich das als Anregung für einen weiteren Blog auf. Was meint Ihr?

    Taxis am Flughafen Tegel
    Foto: Matti Blume


     

     





    Der Beruf der Taxifahrer:in hat einen sehr ambivalenten Ruf. Einerseits abenteuerlich, als einsamer Cowboy in den Schluchten der Großstadt durch die Nacht, mit interessanten „Taxifahrer Geschichten“ (siehe oben), andererseits sozial am unteren Ende der Skala, da man nichts „Vernünftiges“ gelernt hat oder „auf’m Bock hängengeblieben“ ist, wie der promovierte Geisteswissenschaftler. Beides trifft so nicht zu und sagt viel über das Mindset unserer Gesellschaft.

    Für mich war es erst ein guter Job neben dem Studium, dann, auch nachdem ich mich zusammen mit meinem Zahnarzt-Freund Harry (RIP) selbständig gemacht habe, eine gute Möglichkeit selbst Arbeitszeiten, Verdienst und Familienleben zu gestalten. Work-Life Balance nennt man das heute. Und es war auch die Basis eines weiteren beruflichen Standbeins: Buchhaltung.   

     

    Spiele Autor (1990 -1993)

    Nicht mit allen Berufungen habe ich Geld verdient. Eine meiner kreativsten Tätigkeiten war wirtschaftlich nicht erfolgreich, aber auch befriedigend und reich an Erfahrungen. Dennoch habe ich eine Idee bis zur „Marktreife“ getrieben und bin, mangels Markerfahrungen, wirtschaftlich gescheitert: Mini Kick aus dem Zebra Verlag. Das Brettspiel ist eine Fußball Simulation für zwei Spieler, mit Würfeln, Spielbrett, einem kleinen Ball aus Mondstein und jeweils drei roten und blauen Pöppeln.


    Alle Phasen einer Spiele Entwicklung bin ich durchlaufen:

    Die Spielidee

    Es sollte ein Spiel sein, dass neben den Anforderungen ‚Sport, Spiel, Spannung‘ auch klein genug ist, dass man es mit auf eine Reise nehmen konnte. Deshalb ist das schmale Brett klappbar und es wurde in einer durchsichtigen PE-Hülle verpackt. Geeignet ist das Spiel für zwei Menschen ab 8 Jahren, 65% Taktik, 35% Würfelglück.

    Die Produktion

    Auf der Spielemesse in Nürnberg habe ich dann säckeweise Würfel, Spielsteine und Mondsteine als Ball gekauft. In Berlin hat eine Druckerei die Grafik mit mir erarbeitet und auch die Spielbretter produziert. Für die Erstauflage produzierten wir 3000 Spiele.

    Die digitale Version

    Ich fragte meinen Freund Henry, der als Programmierer arbeitete, ob er nicht Lust hätte, das Spiel zu programmieren. Seine Antwort: „Mach das doch selbst!“ und brachte mir eine Version und ein Handbuch der Programmiersprache ‚Basic‘ mit. Ende der 80iger Jahre gab es die ersten PCs und ich lernte ‚learning by doing‘ Programmieren mit Basic. Programmieren ist schon sehr speziell, man kann sich beim Testen und der Bug Suche sehr verlieren. Du hast das Gefühl nur noch eine Sache gerade zu erledigen und es sind plötzlich Stunden vergangen. Das Verständnis der Freund:innen ist dafür nur begrenzt. Für meine spätere Tätigkeit bei Lexware war das eine wichtige Erfahrung.

    Mein DOS Spiel Mini Kick ist fertig geworden. Es war so gut, dass ich beim Spiel gegen den Computer regelmäßig verlor, obwohl ich den Algorithmus selbst entwickelt habe.

    Die Spielemesse in Essen

    Auf der jährlich stattfindenden Spielemesse in Essen (Spiel des Jahres) hatte ich dann einen Messestand. Mit einem übergroßen Spiel zum Präsentieren, sechs Plätzen zum selbst spielen, einem PC für das Computerspiel. Mit der Unterstützung meiner Mutter haben ich drei Tage bis zur Heiserkeit Spielregeln erklärt, über 100 Spiele verkauft und durchweg tolle, begeisterte Rückmeldungen bekommen.

    Die Marketing-Falle

    Leider gab es in Essen keine Großhändler, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin. Als Marketing-Laie war mir nicht bewusst, dass es nicht ausreicht ein gutes Spiel zum günstigen Preis anzubieten, sondern dass viel mehr dazu gehört. Ein Mitaussteller eines großen österreichischen Spieleverlags sagte mir: „Es ist schade für die vielen kleinen Aussteller, mit guten Spielen, dass sie aber im nächsten Jahr dann leider wieder verschwunden sind.“ Und so kam es dann auch.

    Das Fazit

    Ich habe es auch danach nicht geschafft, Mini Kick im Markt zu platzieren. Andere Spiele waren schon in der Pipeline, z.B. das Berliner Taxi-Spiel, von dem unsere Freundin Conny sagte: „100-mal besser als Monopoly.“ Die Kosten ein großes Brettspiel im Voraus zu produzieren waren dann doch so hoch, dass das Risko zu groß war.



    So habe ich noch heute im Keller tausende von roten und blauen Pöppeln und Würfeln und warte auf Ideen, wozu man sie noch brauchen kann.

     





    Buchhalter (1989 – Heute)

     Wie schon weiter oben angedeutet, ist das Thema Buchhaltung aus der Selbständigkeit als Taxiunternehmer entstanden. Wir hatten einen Steuerberater, der sehr teuer war und da die Verdienstmöglichkeiten eines Taxiunternehmers begrenzt sind, kam die Idee auf es selbst zu tun. Meine Mutter war eine Buchhalterin, man kann sagen mit Leib und Seele und ich fragte sie, ob sie mir das zeigen kann. Und so lernte ich alles über T-Konten, Soll und Haben, das „Amerikanische Journal“ (das kennt man heute kaum noch) und Aktiva und Passiva einer Bilanz. So lösten wir nach und nach der Steuerberater ab und ich wurde auch Buchhalter.

     








    Da ich viel gelernt hatte und viel konnte, aber keinen Nachweis über mein Können hatte, machte ich nach dem Umzug von Berlin nach Freiburg meinen Bilanzbuchhalter (IHK). Das führte zu weiteren buchhalterischen Nebenjobs. Und ich organisierte die Buchhaltung vom Naturkosmetik Fachgeschäft Belladonna in Freiburg.

    Noch heute bin ich zu Hause für alle buchhalterischen und steuerlichen Angelegenheiten zuständig.

     

    Naturkosmetik Verkäufer (1992 – 1996)

    Das Belladonna war ein Familienbetrieb und wir teilten uns die Arbeit im Geschäft und zuhause auf. So machte ich nicht nur die Buchhaltung, sondern stand auch im Laden im Verkauf. Es war eine sehr befriedigende Tätigkeit! Die Beratung der Kund:innen, die Beschäftigung mit guten, nachhaltigen Produkten, die Organisation eines Fachgeschäfts und alles mit einer guten Work-Life-Balance.

    Zwei Höhepunkte meiner Arbeit:

    • Die Arbeit mit ätherischen Ölen führte zur Entwicklung eines Parfüms: Belladonna. Es war das meistverkaufte Parfüm im Laden
    • Die Organisation und Durchführung eines Standes auf einer Bio-Messe in Freiburg. Neben dem Verkauf gab es Kosmetikbehandlungen mit der Firma Hauschka. Der Zuspruch und die Rückmeldungen waren großartig.


    Software-Trainer (1996 – 2012)

    Noch parallel zur Arbeit im Belladonna hatte ich meinen ersten Job als Software-Trainer für Buchhaltung bei der Gewerbeakademie Freiburg. Wieder eine neue Situation: Neben den fachlichen (buchhalterischen und Software) Herausforderungen, war die Unterrichtssituation für mich neu. Fast hätte ich abgesagt, habe mich dann überwunden die Herausforderung anzunehmen. Und es war einfacher als gedacht…

    Später absolvierte ich noch eine Train the Trainer Ausbildung an der Fachhochschule Konstanz, die mich für die Lexware Softwareseminare bei der Haufe Akademie fit machte. Die Seminare zum Lexware Buchhalter und zu Lexware Financial Office begleiteten mich lange Zeit während meiner Tätigkeit bei Haufe-Lexware.


    Hotliner (1996 – 1998)

    Mein großes Verständnis für alle Hotliner dieser Welt, das viele oft nicht nachvollziehen können, stammt aus meiner Anfangszeit bei Lexware (später Haufe-Lexware) als Supporter für den Lexware Buchhalter. Das Programm war neu (d.h. mit vielen Bugs in der Anfangszeit), erfolgreich und die Hotline war unzureichend besetzt.  Manchmal hörte man die Kund:innen am Telefon jubeln: „Das ist ja wie ein 6er im Lotto, dass ich Sie erreiche!“




    Auf der anderen Seite des Telefons hat man jede nur mögliche Emotion: Freude, Wut, Verzweiflung, professionelle Sachlichkeit, Dankbarkeit, Arroganz, Hilflosigkeit und viele andere mehr. So ist jeder Anruf neu und anders und die Aufgabe Fehler des Programms, Fehler der Anwender:innen, Anleitungen für richtiges Handling  zu finden und diese Probleme mit emotionaler Intelligenz zu lösen, ist eine Mammutaufgabe. Deshalb habe ich Hochachtung für alle Hotliner!  


    Software-Redakteur (1996 – 2000)

    Für diese Tätigkeit gibt es keine klare Berufsbezeichnung und doch gerade sie ist nach meiner Ansicht einer der Erfolgsfaktoren von Lexware. Die Bezeichnung war auch immer wieder unternehmenspolitisch umstritten. Der ‚Redakteur‘ kam wahrscheinlich aus der Haufe-Welt, andere Bezeichnungen waren ‚Technischer Redakteur‘ oder ‚Requirements Engineer‘.

    Was ist denn dann die Tätigkeit: Die Software Lexware Buchhalter (mein Software-Baby) beispielsweise wurde im Team erarbeitet: Programmierer:innen, Tester:innen, Software-Redakteur:innen und Marketing-Manager:innen. Dabei kamen die Redakteur:innen meistens aus der Praxis und erarbeiteten praxisnahe Programmkonzepte, die dann gemeinsam im Team umgesetzt wurden. Heraus kamen dann Programme, die neben Marktanforderungen und guter Technik auch eine sehr gute Usability und einfache Handhabung haben. 


    Teamleiter (1998 – 2003)

    Lexware war Ende der 90iger Jahre ein sehr dynamisches, stark wachsendes Startup und deshalb ergaben sich viele Entwicklungschancen für Mitarbeitende. So sind viele schnell in Führungspositionen wie Teamleiter, Projektleiter oder auch Bereichsleiter hineingewachsen. Über viele interne Qualifizierungsmaßnahmen habe ich mich entsprechend weiterentwickelt, aber in der Regel war es ‚Learning by doing‘. Ich blieb in dem einen Unternehmen, aber hatte diverse unterschiedliche Aufgaben.


    Projektmanager (2003 -2010)

    Eine Ausprägung dieser Vielfalt war die Tätigkeit des Projektmanagers. Zu sehr unterschiedlichen Themen habe ich inhaltlich konzeptionell, organisatorisch oder steuernd gearbeitet. Beispiele:

    • Konzepte für zielgruppenorientierte Hilfen (Handbücher, Online-Hilfen)
    • Inhouse Trainings für Produktspezialist:innen und Software-Redakteur:innen
    • Richtlinienkonzepte zur Usability
    • Koordination Support und Entwicklungsabteilung

    Eine besondere Befriedigung dieser Tätigkeiten ergab sich durch die intensive Vernetzung mit vielen Mitarbeitenden aus unterschiedlichen Unternehmensteilen.


    Betriebsrat (1998 - 2000 und 2006 – 2021)

    Parallel dazu war ich im Betriebsrat. Nachdem ich zum Vorsitzenden gewählt worden war, stellte sich irgendwann die Frage, wie ich die beruflichen und betriebsrätlichen Themen unter einen Hut bekomme. Ich habe mich dann für eine Freistellung als Betriebsrat entschieden. Eine im Rückblick richtige Entscheidung, da durch organisatorische Veränderungen der Haufe-Gruppe viele betriebsverfassungsrechtliche und tarifliche Herausforderungen entstanden. So konnten wir als Betriebsräte darauf professionell reagieren.

    Was waren meine Antriebsfedern? Besonders hervorheben möchte ich folgende, für mich wichtigen Punkt

    •  Arbeitsbedingungen aktiv, sowohl durch Betriebsvereinbarungen als auch durch (Haus)-Tarifverträge gestalten
    • Mitarbeitende bei beruflichen Themen beraten

    • Verhandlungen mit guten Ergebnissen für Mitarbeitende
    • Professionelle, wertschätzende Organisation der Betriebsratsarbeit

    Da ich von meinem Naturell her den Konflikt eher vermeiden will, gab es naturgemäß ein Spannungsfeld, das dann aber auch viele Lösungen ermöglichte. Durch die Betriebsratstätigkeit schloss sich auch ein beruflicher Kreis zu den organisatorischen Erfahrungen aus früheren Zeiten und zur Ausbildung als Politikwissenschaftler.


    Ehrenamtlicher Arbeitsrichter (2013 – 2023)

    Die deutschen Arbeitsgerichte sind so aufgebaut, dass neben der Berufsrichter:in auch zwei ehrenamtliche Richter:innen (jeweils benannt von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften) entscheiden. An drei bis vier Verhandlungstagen pro Jahr kann man als voll stimmberechtigter Richter seine betrieblichen Erfahrungen in die Verhandlung mit einbringen. 

    Neben der Möglichkeit an einem gesellschaftlichen Ausgleich bei Arbeitskonflikten mitzuarbeiten, öffnet die Tätigkeit auch den Blick dafür, wie es in anderen Betrieben und Unternehmen läuft. Sie erweitert den Horizont oder, wie man heute sagen würde, man kommt mal aus der eigenen Blase heraus. Wenn jemand die Möglichkeit dazu hat, kann ich das nur empfehlen!

     

    Publisher (2011 – Heute)

    Auch eine Berufsbezeichnung, die nicht jedem geläufig ist. Vielleicht mal eine einfache Übersetzung: Ich habe einige Webseiten. (www.beratungsstellen-freiburg.de u.a.).



    Da ich auf einigen Seiten Werbung von Google AdSense habe, verdiene ich damit auch ein ‚kleines Zubrot‘. Ursprünglich entstanden zur Online-Unterstützung der Anwaltskanzlei meiner Frau Maike, hat sich daraus ein größeres Hobby entwickelt und ich biete Ratsuchenden aus vielen deutschen Großstädten die Möglichkeit, die für sie passende Beratungsstelle zu finden.

     

    Online-Marketing-Manager (2016 – Heute)

    ‚Learning by doing‘ – Als Publisher beschäftigt man sich neben Themen wie Webdesign auch damit: Wie werden meine Webseiten gefunden? So kam ich nebenberuflich in die Themenwelt des Online-Marketing. Neben dem Thema ‚Google AdSense‘ sind Suchmaschinen Optimierung (SEO) und Suchmaschinen Werbung (SEA) wichtige Elemente. Zu diesen Themen haben sich Beratungsanfragen ergeben und ich unterstütze, insbesondere kleinere Unternehmen zu Fragen des Online-Marketings.



    Ehrenamtlich bin ich als ‚Google Produktexperte‘ in den Support Foren für AdSense und Search Central (früher Webmaster-Forum) aktiv.  In meinem Web-Blog www.milanex.de und seit Neustem in meinem YouTube Kanal bereite ich die Erfahrungen aus diesen Tätigkeiten auf.

     

    In Rente (2021 - …) 

    Nach genau 25 Jahren bei Haufe-Lexware, wer hätte das damals gedacht. Viele Synonyme für einen neuen Lebensabschnitt:

    In Rente, in Ruhestand  gehen, aus dem Amt scheiden, in Pension gehen, seine aktive Zeit beenden, sich zur Ruhe setzen, aufhören…

    Erstmal möchte ich zur Vorbereitung auf die Rentenzeit das Buch von Wolfgang Prosinger, einem Freiburger/ Berliner Autor und Redakteur empfehlen. Lebendig geschrieben und voller wichtiger Gedankenanstöße. (Leider konnte er diese Zeit nur kurz genießen. RIP.)










    Der ‚Ruhestand‘ ist bei mir nicht ruhig, einige Tätigkeiten gehen weiter, einige Projekt kommen dazu. Ich bleibe weiter offen für neue Ideen. Und ich möchte allen, die Angst vor dem Ruhestand haben, sagen, dass die  Work-Life-Balance enorm gewinnen kann.  

     

     


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