Recht und Gerechtigkeit
Als Kind und auch später noch, war mein
Gerechtigkeitsgefühl, zumindest das subjektiv, stark ausgeprägt. Wenig konnte
mich mehr aufregen als Ungerechtigkeit. In der Kindheit hat das noch nichts mit
dem Rechtssystem zu tun, das kommt erst
später ins Bewusstsein. Ich habe immer in einem Rechtsstaat gelebt, vielleicht
hatte ich deshalb das Gefühl, in meinem Leben nicht viel mit Recht und Gesetz,
mit Recht und Gerechtigkeit, zu tun gehabt zu haben.
Beim biografischen Forschen bin ich dann zu einem anderen
Ergebnis gekommen und wundere mich
darüber, dass das so ausgeblendet war. Subjektiv gefühlt: Nie bzw. selten habe
ich das Rechtssystem in Anspruch genommen. Objektiv: Es zieht sich durch mein
ganzes Leben.
Angefangen von der Rechts AG in der Schule, in der ich
Grundlagen des BGB und Strafrechts kennenlernte und einen Prozess besuchte bis
zu meiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Arbeitsrichter, die Mitte dieses Jahres
zu Ende geht.
Die gestohlene Fahne
Ich war 15 Jahre und mit meinen Eltern und meiner Schwester im damaligen Jugoslawien, im heutigen Kroatien in Urlaub. Der Ort hieß: Moschenitzka Draga. Mir gefiel es da so gut, dass ich eine Woche länger als meine Familie blieb. Mit einer Familie, die wir dort kennengelernt hatten, wollte ich dann wieder zurückfahren. Meine Familie fuhr schon nach Hause und ich packte eine jugoslawische Fahne in ihren Koffer, die wir, ein paar Jugendliche am Urlaubsort, von einem Partisanen Denkmal geklaut hatten. Die Fahne sollte als Souvenir mit zurück nach Deutschland.
Wir Jugendlichen hatten gemeinsam am Strand gefeiert, heute
würde man wahrscheinlich sagen: Wir haben Party gemacht und irgendeiner hat die
Fahne am Denkmal runtergeholt und ich habe damals mit dem jugoslawischen
Sozialismus und auch den Partisanen sympathisiert. Deshalb bekam ich die Fahne.
Zitat Wikipedia: „Leitsätze des Jugoslawischen Sozialismus
waren: In der Außenpolitik die Blockfreiheit, in der Wirtschaftspolitik die
Arbeiterselbstverwaltung, in der Innenpolitik ‚Brüderlichkeit und Einheit‘.“
In der Zwischenzeit hatte die Polizei Ermittlungen
aufgenommen und über mehrere Stationen der Ermittlung kam dann heraus, dass ich
die Fahne hatte und musste zur Polizei nach Opatija. Der Kommissar begrüßte
mich mit den Worten: „Du böse, Du Gefängnis!“. Bei uns zu Hause ist das bis
heute ein ‚geflügeltes Wort‘ geblieben.
Obwohl ich mit 15 Jahren noch sehr jung und naiv war, konnte
ich schon verstehen, dass ich mich nicht in eine politische Diskussion
einlassen durfte. Ich habe dann gesagt, dass wir Bier getrunken haben und dass
es aus Übermut passiert ist und dass es mir leid tut. Das Problem war nur, dass
die Fahne unterwegs nach Deutschland war. So schrieb ich ein Telegramm (ja, das
gab es damals noch und erstaunlicherweise ist der Telegrammdienst der Post erst
zum 31.12.2022 eingestellt worden) an meine Tante, da ich wusste, dass meine
Eltern dort übernachteten: „Schickt sofort die Fahne an Polizeistation
Opatija!“
Ob sich meine Mutter Sorgen um mich machte, weiß ich nicht
mehr. Ich musste mich jeden Tag bei der Polizeistation melden. Nach 5 Tagen kam die Fahne an und am 6. Tag
kam es dann zum Prozess.
Ich bekam sogar einen mit österreichischem Akzent sprechenden Dolmetscher in der Verhandlung
(aber keinen Verteidiger) und der Abend am Strand und Denkmal wurde noch mal
aufgearbeitet. Als mildernde Umstände wurde berücksichtigt:
Ich wurde dann zu 2 Jahren Einreiseverbot, einer Geldstrafe
von umgerechnet 20 DM und zur sofortigen Ausweisung verurteilt.
Den nächsten Tag fuhr ich dann (wie geplant) wieder zurück
nach Deutschland. Heute denke ich, dass ich glimpflich davon gekommen bin.
Das Plakat
Die Sozialistische Deutsche Arbeiter Jungend (SDAJ) in Marl veranstaltete 1976 und 1977 zwei Musik Wettbewerbe: ‚Marler Musik Markt‘. Einmal spielte dort, neben lokalen Musikgruppen, auch Peter Paul und Barmbek. Die beiden Veranstaltungen waren sehr gut besucht und für uns als SDAJ ein großer Erfolg.
Aber es gab noch ein kleines juristisches Nachspiel. Nicht
wegen der Einnahmen, die evtl. hätten versteuert werden müssen, sondern wegen
wild geklebter Werbeplakate. Ich bekam eine Aufforderung mich deshalb bei der
Polizei zu melden.
Das machte mich nervös und die SDAJ nannte mir einen Anwalt,
der mich dazu beraten könnte. Also ging ich dahin. Er riet mir, dass ich bei
der Polizei einfach keine Aussage mache. Das habe ich dann auch getan. Der
Polizist versuchte mir etwas zu entlocken, ich wäre doch in der SDAJ und auf
den Plakaten stand kein Verantwortlicher und ich hätte sie doch bestimmt
geklebt. Wie gesagt, ich sagte dazu nichts.
Die Sache verlief dann im Sand und ich hörte nichts mehr
davon. Zwei Jahre später kam überraschend noch eine Rechnung des Anwalts über
50 DM. Ich war zwar davon ausgegangen, dass die SDAJ das bezahlen würde, aber
dem war nicht so. Ich glaube, dass ich seit dieser Zeit Anwaltsrechnungen
gegenüber skeptisch bin.
Der Mofa-Unfall
Als ich meine Ausbildung zum Chemielaboranten machte, kaufte ich ein Mofa, mit dem ich morgens zur Arbeit fuhr. Dabei stieß ich mit einer Radfahrerin zusammen, die sich dabei verletzte und sogar ins Krankenhaus musste. Eigentlich war ich mir keiner Schuld bewusst, aber da das Mofa versichert war, machte ich mir keine Sorgen.
Die Radfahrerin besuchte ich noch im Krankenhaus, brachte
Blumen und wünschte gute Besserung. Irgendwann später kam dann ein Strafbefehl.
Der Betrag und die Tagessätze waren nicht sehr hoch. Ich überlegte dann, ob ich
dagegen vorgehe. Dann hätte ich einen Anwalt gebraucht und vor diesen Kosten
scheute ich mich, so dass ich einfach bezahlte.
Ich hatte nicht bedacht, dass das Auswirkungen auf die
Zukunft haben könnte. Aber bei einer
Verkehrssache Jahre später, wurde mir das vorgehalten. Heute denke ich, dass
man in so einem Fall doch etwas dagegen hätte unternehmen müssen.
Die Kriegsdienstverweigerung
Das Thema Kriegsdienstverweigerung war in meiner Jugend ein großes politisches Thema. Es gab einmal eine sehr schöne Plakat Aktion: Auf dem Plakat stand nur 4/3 und niemand wusste, was das bedeuten sollte. In einer großen Zeitung spekulierte man über einen 4/3 Takt. Das Rätsel wurde dann von der Deutschen Friedensgesellschaft Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG VK) aufgelöst:
Vielleicht noch zum historischen Hintergrund: Damals gab es in der BRD eine allgemeine Wehrpflicht und wer sich auf den Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes berief, musste seine Gewissensentscheidung nachweisen und, nach Anerkennung, dann einen wesentlich längeren Ersatzdienst, später Zivildienst antreten. Beides ist nicht sehr attraktiv.
Als politisch engagierter Jugendlicher war ich auch
Kriegsdienstverweigerer und bin den gesamten Prozess durchlaufen. Zuerst
stellte man einen Antrag beim Kreiswehrersatzamt. Dass das Kreiswehrersatzamt
hat nichts mit dem Ersatzdienst zu tun, sondern ist ein Organisationsteil der
Bundeswehr, das für die ‚Ersatz‘-Beschaffung des Personalbedarfs der Bundeswehr
zuständig ist. Deshalb war der Prüfungsausschuss in der Regel sehr einseitig.
Mit dem Gewissen ist es so eine Sache. Da der Nachweis nicht
ganz einfach ist, erläuterte man im Antrag, wie man zu dieser
Gewissensentscheidung gekommen war, brachte Zeugnisse von Lehrern oder
Priestern mit, die dann bezeugten, dass man aus Gewissensgründen nicht töten
kann. Der Prüfungsausschuss des Kreiswehrersatzamts meinte dann das durch
solche Fragen überprüfen zu können (kein Witz!):
„Sie sind mit der Freundin im Wald und plötzlich sind Sie
von einer Horde bewaffneter Vietnamesen umzingelt, die Ihre Freundin
vergewaltigen wollen. Sie haben ein Maschinengewehr. Würden Sie dann schießen?“
Eine ernste Auseinandersetzung mit einer
Gewissensentscheidung fand in diesen Verfahren nicht oder nur selten statt. So
wurde auch ich im ersten und zweiten Verfahren nicht anerkannt.
Nach dieser Absage bekam ich einen Einberufungsbescheid
(Panzerjäger) und sollte aus der Ausbildung heraus zur Bundeswehr eingezogen
werden. Da ich inzwischen eine Klage gegen den Beschluss des
Prüfungssauschusses eingereicht hatte, wurde ich noch mal zurückgestellt.
Die Klage zog sich sehr lange hin. Inzwischen hatte ich ein
Studium in Münster aufgenommen, das ich in Berlin fortsetzte. In der Zeit kam
es dann zur Verhandlung und ich wurde als Kriegsdienstverweigerer anerkannt.
Da Westberlin damals durch den Viermächte Status nicht in
den Einzugsbereich der Bundeswehr und der Zivildienstämter gehört, musste ich auch den Zivildienst nicht
ableisten.
Kurzer Exkurs: Aktuelle „Friedensbewegung“
Man kann nicht über die eigene Kriegsdienstverweigerung
schreiben, ohne den gerade aktuellen Bezug zum Ukraine Krieg ins Bewusstsein zu
bekommen. Es ist nicht mein heutiges Thema, deshalb ein kurzer Kommentar.
Die oben genannte Organisation DFG-VK hat gerade mit
Wagenknecht und Schwarzer zu einer großen Kundgebung in Berlin aufgerufen. Es
tat weh sie auf der Bühne selbstverliebt lächelnd zu sehen, die Verantwortung
für diesen Krieg ausblendend, die russischen Fahnen ignorierend, die Kumpanei
mit den Rechtsextremen billigend. Gemeinsam ist ihnen anscheinend, unsere
Gesellschaft zu spalten.
Die rote Ampel
In Berlin war ich fast zehn Jahre Taxifahrer und die
Verkehrsregeln waren, wenn ich ehrlich bin, für mich nicht immer zwingend.
(Heute bin ich ein sehr defensiver Fahrer, wenn ich denn mal fahren muss.) So
bekam ich einmal ein Bußgeld für eine angeblich überfahrene rote Ampel. Daran
konnte ich mich nicht erinnern und meine Recherchen ergaben, dass es an einem
Tag mit Schneefall und schneebedeckten Straßen passiert sein musste. Es gab
kein Foto, sondern nur Zeugenaussagen.
So legt ich Widerspruch ein und es kam zu einer Verhandlung.
Die Zeugen waren drei Polizisten, die von der Arbeit gerade nach Hause fuhren.
Zwei konnten sich nicht mehr erinnern, einer konnte es noch.
Der Richter sagte: „Ich kann hier nur nach der Zeugenaussage
gehen, da ich nicht über der Kreuzung schwebte.“ Er verwies mich auf meinen Mofa-Unfall, gegen dessen Strafbefehl ich nicht vorgegangen war. (Man sieht, dass
Versäumnisse der Vergangenheit auch lange später noch Folgen haben.) Und, da
ich nicht anwaltlich vertreten war, empfahl er mir, den Widerspruch
zurückzunehmen.
Zum Glück war ich nicht beratungsresistent und folgte seinem
Rat. Ich bezahlte das Bußgeld. Für evtl. Gerichtskosten kam nie ein Bescheid.
Die Richtlinie Erziehungsgeld
Als Vorläufer vom Elterngeld gab es früher das
Erziehungsgeld. Es war nicht sehr komfortabel ausgestattet, aber trotzdem
natürlich ein wichtiger Zuschuss. Und es war, wie bei allem, bei dem das
Einkommen be- und angerechnet wird, sehr kompliziert.
So war ein Paragraf aus dem Einkommensteuerrecht, der GmbH
Geschäftsführer ohne Altersvorsorgezusage betraf, mit maßgeblich für die Berechnung
des Erziehungsgeldes. Da ich gerade meinen Bilanzbuchhalter IHK gemacht hatte,
war ich im Steuerrecht recht firm und der Paragraf erschien mir auf unsere
Situation zutreffend. Im Bescheid wurde er aber nicht berücksichtigt.
Da ich wegen der Komplexität nicht sicher sein konnte,
überlegte ich, ob ich einen Anwalt hinzuziehe. Es ging um einen Betrag von 1000
DM, für mich viel Geld, doch ich wollte keine Anwaltskosten produzieren. Im
Sozialrecht kann man in der ersten Instanz auch ohne Anwalt auftreten, so dass
ich einen Widerspruch schrieb und nach Ablehnung eine Klage einreichte.
Bis es zum Prozess kam dauerte ca. zwei Jahre. Ich
begründete die Klage so gut ich konnte und die LAKRA, die für das
Erziehungsgeld zuständig war, antwortete mit für mich sehr merkwürdigen
Begründungen. Sie hatten mit dem eigentlichen Sachverhalt nichts zu tun und es
schien mir, dass die Jurist:innen der LAKRA mit den Textbausteinen
durcheinander gekommen sind. Aber man weiß ja nie…
Der Richter der ersten Instanz beim Sozialgericht Freiburg
leitete die Sitzung so ein: „Wenn ich die Zeit gehabt hätte, das vorher zu
lesen, dann wäre es wohl nicht zu der Verhandlung gekommen.“ Er folgte meine
Argumentation, die Anwältin der LAKRA argumentierte dagegen und sagte, dass sie
ein Urteil braucht, da eine Richtlinie sie darauf verpflichtet. Ich bekam die
1000 DM im Urteil zugesprochen, aber ich freute mich zu früh.
Rechtzeitig legte die LAKRA Berufung ein und die klagte beim
Landessozialgericht. Da es bei der zweiten Instanz eine Anwaltspflicht gibt,
stand ich vor der Entscheidung doch eine anwaltliche Vertretung hinzuzuziehen.
Die Richterin des Landessozialgerichts nahm mir diese Entscheidung jedoch ab.
Sie schrieb in Richtung LAKRA: „Wann werden Sie Ihre rechtswidrige Praxis
einstellen?“ und fragte, ob nach Aktenlage ohne Verhandlung entschieden werden
könnte. Da beide Seiten damit einverstanden waren, brauchte ich doch keine
anwaltliche Vertretung.
Das Urteil ging zu meinen Gunsten aus und bis heute bin ich
stolz darauf, als juristischer Laie eine Richtlinie weggeklagt zu haben.
Die Scheidung
Das Amtsgericht ist als Familiengericht für die Scheidung
einer Ehe zuständig. Eine Scheidung ist oft mit vielen auch emotionalen
Belastungen verbunden, aber hier bleibe ich beim Thema Recht.
Vorweg: Wir haben es geschafft unsere Ehe einvernehmlich zu
scheiden, d.h. eine:r lässt sich anwaltlich vertreten und der:die andere
stimmt dann allen Anträgen zu. Damit spart man eine ganze Menge an Kosten.
Da wir uns auch einvernehmlich über Unterhalt und Aufteilung
von Haushalt etc. geeinigt hatten, war nichts mehr zu regeln. Dem Anwalt hatten
wir erzählt, wie unsere Einigung aussieht. Beim nächsten Termin brachte er
unaufgefordert einen entsprechenden Vertrag mit. Da wir den nicht beauftragt
hatten, haben wir ihn auch nicht genutzt und mussten ihn auch nicht bezahlen.
Das geht aber nur, wenn man nicht zerstritten auseinander geht und noch das
Vertrauen in eine einvernehmliche Regelung möglich ist.
Etwas, was von Amts wegen geregelt wird, ist der
Versorgungsausgleich. Da muss man sich dann bei der Rentenversicherung alle
Zeiten bestätigen lassen und die Rentenpunkte werden dann 1 zu 1 aufgeteilt. Das
ist recht aufwendig, da zum Beispiel Ausbildungszeiten nachgewiesen werden
müssen. Deshalb mein Tipp: Bewahrt solche Unterlagen immer gut auf, auch wenn
Ihr noch jung seid. Beim späteren Rentenantrag ist es dann viel einfacher, weil
der Rentenversicherung schon alle Daten vorliegen.
Wenn die Scheidung sofort rechtskräftig werden soll,
brauchen doch beide Parteien eine eigene anwaltliche Vertretung. In der Praxis
schaut man dann auf dem Flur im Amtsgericht, ob gerade ein:e Anwält:in dort
rumläuft oder -sitzt, der:die für die Rechtskraft die Vertretung übernimmt. Bei
uns war niemand da und so mussten wir noch 6 Wochen warten.
Exkurs: Kurt Tucholsky – Mieter und Vermieter
Kurt Tucholsky beschreibt hier die Reaktion eines Mannes,
der sowohl Mieter (einer Wohnung) als auch Vermieter (einer anderen) ist. Er
bekommt zwei Briefe: Als Mieter fordert er mit Inbrunst die Reparatur der
kaputten Rohre von seinem Vermieter ein, während er als Vermieter das gleiche
auch mit Inbrunst ablehnt, weil sein Mieter so viel badet und für die kaputten
Rohre verantwortlich ist.
Eine köstliche Geschichte über unterschiedliche Interessen…
Der Mietstreit
Ich habe die meiste Zeit meines Lebens zur Miete gewohnt,
aber es kam nur einmal zu einem wirklichen Konflikt mit dem Vermieter. Wir
wohnten in einem umgebauten ehemaligen Polizeigebäude im obersten Stock. Um
genau zu sein, in den beiden obersten Stockwerken, denn es war eine
Maisonettwohnung. Eine Wendeltreppe führte hoch unters Dach und unser
Schlafzimmer war komplett unter der Dachschräge. Das Stockwerk darunter hatte
zur Hälfte Schrägen.
Obwohl der Vermieter eigentlich selbst zugegen war, wurde
die Vermietung über einen Makler abgewickelt. Das hatte schon ein
‚Geschmäckle‘, da dann eine heftige Maklergebühr fällig wurde. Aber bei einer
angespannten Wohnungsmarktlage hatten wir keine Wahl.
Auch die genannten Quadratmeter, die für Miete und
Heizkosten maßgeblich waren, haben wir nicht in Frage gestellt. Ich hatte
irgendwann mal grob nachgemessen, aber dass der Bereich der Dachschrägen anders
beurteilt wird, war mir nicht bewusst.
Ein BGH-Urteil 2004 kam uns dann zu Hilfe. Es besagte, dass
eine Abweichung von 10% der Wohnfläche zwischen Mietvertrag und tatsächlicher
Wohnfläche einen Mangel darstellt. Da ich rechtlich schon immer interessiert
war, las ich über dieses Urteil und habe die Wohnung genauer vermessen. Da der
Bereich der Dachschrägen nur mit 50% bewertet wird, kamen wir auf eine
Abweichung von ca. 12 %.
Wir haben dann eine Mietminderung geltend gemacht. Der
Vermieter beauftragte ein Ingenieurbüro, um die Wohnung zu vermessen. Dieses
kam dann zum Ergebnis: Abweichung 9,5%. Die Differenz der Berechnung lag an den
beiden kleinen Balkonen. Der Vermieter bewertete die Fläche mit 50%, wir mit
25%. Ich fand dann ein Urteil zu dieser Bewertung. Eine Balkonfläche zu einer
Parklandschaft kann mit 50% bewertet werden. Ich schrieb dann, unter Berufung
auf dieses Urteil, der Anwältin des Vermieters: „Unser Balkon blickt nicht in
Richtung einer Parklandschaft, sondern auf einen Parkplatz.“
Damit hatten wir anscheinend gewonnen. Es kam nicht zu einem
Prozess, der Vermieter nahm einen Vergleichsvorschlag von uns an. Da wir bald
ausziehen wollten haben wir uns bei den Schönheitsreparaturen und beim Auszug
auf unsere Vorstellungen geeinigt.
Die ‚willkürlich‘ gezogen Grenze von 10% Abweichung zeigt,
dass manchmal Glück oder auch Pech für Recht und Gerechtigkeit maßgeblich ist.
Der Bauprozess
Jeder, der in seinem Leben gebaut hat, weiß, dass es da zu
rechtlichen Problemen kommen kann. Oft geht man da mit einer gewissen Naivität
hinein, in der Hoffnung, dass alles gut geht.
Wir haben als Teil einer Baugruppe ein 12 Familienhaus
gebaut. Plötzlich beschäftigt man sich mit Themen wie Finanzierungen, Bauverträgen,
Abnahmen, Mängeln, Teilungserklärungen und Wohnungseigentümer Gemeinschaft
(WEG). Alles Themen, die konfliktbeladen sein können.
Bei uns spielten insbesondere Estrichschäden (im
Gemeinschaftseigentum der WEG) als Mängel eine Rolle, die dann zu Einbehalten
der letzten Rate der Baukosten führte. Der Bauunternehmer hatte aufgehört die
Mängel zu beseitigen.
Eingezogen sind wir in die Wohnung 2005, die Klage des
Bauunternehmers für die Restzahlung kam dann Ende 2008. Das Verfahren zog sich
über die Jahre und endete mit einem Vergleich 2022. Die Beseitigung und die
Kosten für die Mängelbeseitigung sind bis heute noch nicht endgültig geregelt.
Auch das ist Teil unseres Rechtssystems.
Der Betriebsrat
Als Betriebsrat lernt man sehr schnell, dass fast die
gesamte Arbeit des Betriebsrats rechtlich geprägt ist. Eigentlich kandidiert
man für dieses Amt, um die Interessen der Kolleg:innen zu vertreten, merkt aber
bald, dass sich fast alles im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG)
abspielt. Die ersten Schulungen heißen dann auch BetrVG I, BetrVG II und BetrVG
III.
Als unser Software-Unternehmen noch kleiner war, waren wir
als Betriebsräte eher hemdsärmelig und als Amateure unterwegs. Mit dem
Wachstum des Unternehmens wuchsen auch die Konfliktsituationen und wir wurden
professioneller, das heißt vor allem auch rechtlich versierter.
Nach einer Verschmelzung mit dem Mutterkonzern veränderte
sich die Struktur unseres Betriebsrats und es waren auch einige Jurist:innen
Mitglied des Betriebsrats. Das hob die Diskussion auf ein noch höheres
juristisches Niveau! Da habe ich viel gelernt. Allerdings wurden innere,
betriebsrätliche Konflikte auch immer mehr juristisch ausgetragen. Der Höhepunkt war eine
Wahlanfechtung, die die Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats auf eine harte Probe
stellte. Vor dem Arbeitsgericht traf sich dann eine große Gruppe: Kläger,
Arbeitgeberin, Betriebsrat, zwei Gewerkschaften und alle mit ihren
Rechtsbeiständen.
Die Verrechtlichung der Betriebsratsarbeit war eine große
Bürde. Sie hat mich aber nicht davon abhalten können, mein eigentliches
Anliegen aus den Augen zu verlieren: Beratung und Interessensvertretung der
Kolleg:innen und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen.
Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen: Auch diese finden im
stark rechtlich geprägten Raum statt. Betriebsvereinbarungen und (Haus-)
Tarifverträge als neue rechtliche Normen zu verhandeln und abzuschließen, waren
für mich sehr sinnstiftend und befriedigend.
Bei Kündigungen oder anderen arbeitsrechtlichen Problemen
war ich häufig als emotionaler Beistand von Kolleg:innen bei Personalgesprächen
oder auch am Arbeitsgericht dabei. Hier helfen zu können war für mich auch
immer eine große Motivation.
Die Gehaltsklage
Bei Betriebsratsgehältern denkt man immer sofort an VW. Seit
Jahren gehen die Gehälter der VW-Betriebsräte durch die Medien und die
Gerichtssäle. Oft wird das genutzt, um Betriebsräte als bestechlich und gierig
zu diffamieren.
Die Praxis in den Unternehmen ist eine andere: Wenn jemand
für den Betriebsrat kandidiert, ist das oft das Ende der Karriere. Nach dem
BetrVG darf man wegen der Betriebsratsarbeit weder bevorzugt noch benachteiligt
werden.
In unserem Unternehmen gab es (meist geringe) allgemeine
Tariferhöhungen und noch individuelle
Erhöhungen (meist für wenige). Das wurde so auch im Haustarifvertrag
vereinbart. Interessanterweise waren Betriebsräte von der individuellen
Erhöhung meist ausgenommen, sprich sie wurden benachteiligt.
Da ich als freigestellter Betriebsrat ganz aus dem Prozess
der individuellen Erhöhung rausgefallen war (die Leistung eines Betriebsrats
ist vom Arbeitgeber nicht wirklich beurteilbar), war das für mich nach sechs Jahren ein Verstoß
gegen das Benachteiligungsverbot. Gegen das Unternehmen zu klagen, in dem man
noch arbeitet, tun nicht viele und es ist dann auch auf der Beziehungsebene
problematisch. Andererseits, und so habe ich auch die Kolleg:innen immer
beraten, muss man für seine Rechte auch einstehen. So hatte ich mich nach
reiflicher Überlegung und nach gescheiterten Gesprächen entschlossen, gegen
diese Benachteiligung vorzugehen und habe eine Klage eingereicht.
Um eine Eskalation auf der Beziehungsebene zu vermeiden,
habe ich das Güterichterverfahren vorgeschlagen:
„Mit diesem sollen Konflikte, die bereits vor Gericht anhängig sind, durch eine von den Prozessparteien selbst erarbeitete Lösung statt durch ein gerichtliches Urteil beigelegt werden können.“
Darauf haben wir uns dann geeinigt und eine Arbeitsrichterin
hat die Moderation übernommen. Das Ergebnis war ein Vergleich, mit dem beide
Seiten leben konnten. Die zukünftigen individuellen Erhöhungen wurden auf der
Basis einer Vergleichsgruppe, die vor meiner Freistellung als Betriebsrat eine
vergleichbare Tätigkeit hatten, festgelegt. Diese Regelung wurde dann auch für
andere Betriebsräte übernommen.
Ehrenamtlicher Arbeitsrichter
Die deutschen Arbeitsgerichte haben neben dem:r
Berufsrichter:in immer auch Ehrenamtliche Richter:innen, wenn es zu einer
Verhandlung am Arbeitsgericht kommt. Vorgeschaltet ist immer das Güteverfahren, das der:die Berufsrichter:in allein durchführt. Die ehrenamtlichen Richter:innen
werden paritätisch von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften benannt, die
Zusammenarbeit war bei mir immer sehr gut.
Als ehrenamtliche:r Richter:in bist Du natürlich nicht
Interessensvertretung, sondern auch dem Gesetz verpflichtet. Du kannst aber
Deine Erfahrungen aus Deiner betrieblichen Praxis gut in die Verfahren
einbringen. Und du bist ein vollwertiger Richter. Bei einem strittigen Urteil
wird auch abgestimmt.
Seit 2013 bin ich jetzt als ehrenamtlicher Richter tätig und
da ich jetzt in Rente bin, läuft die Benennung zum 30.6.23 aus. Meistens gab es
ca. 3 Verhandlungstage in einem Jahr. Für mich waren die Verfahren immer eine
Horizonterweiterung: die Art der Konflikte, der Umgang miteinander, die
möglichen arbeitsrechtlichen Lösungen. Diese Erfahrungen relativieren die
eigene Sicht und wenn man dazu beigetragen hat, dass ein Ausgleich zwischen den
Parteien stattfand und eine Lösung erreicht wurde, mit der beide Seiten leben
können, war es oft eine erfolgreiche Verhandlung.
Noch ein Tipp für alle, die mal das ‚Vergnügen‘ haben, bei
einem Gerichtsprozess dabei zu sein. Das Sprichwort „Vor Gericht und auf hoher
See ist man in Gottes Hand" wird nicht so gern gehört. Es kann zwar sein,
dass Recht und Gerechtigkeit schwer in Einklang zu bekommen ist, aber
willkürlich geht es bei unseren Gerichten nicht zu. Recht und Gesetz ist immer
der Maßstab. Und vielleicht spürt man sogar etwas von Gottes Hand wie ich in
einem Kündigungsprozess zwischen einem Rabbi und seiner Gemeinde. Nachdem ein
Vergleich geschlossen worden war, kam der Rabbi und segnete uns Richter:innen.
Und jetzt?
Was ist ein gutes Rechtssystem für mich? Ein Rechtssystem,
das Dir zumindest eine relative Rechtssicherheit gibt, das dem Ausgleich der
Interessen gerecht wird, das einvernehmliche, selbstbestimmte Lösungen
ermöglicht. Wichtige Elemente sind für mich Mediation und Vergleich. Gerade
habe ich mich für das Schöffenamt am Strafgericht beworben…